Unser Leben mit Corona

Sicherheit gewinnen

Die aktuelle Situation führt zu einer ganzen Reihe von Veränderungen, die nicht nur unsere psychische Widerstandsfähigkeit auf eine harte Probe stellt, so formulierte Marina Winkler, leitende Psychologin der Nordseeklinik Westfalen bereits in der Sommerausgabe der Patienten-Bibliothek – Atemwege und Lunge (nachzulesen auf www.Patienten-Biblithek.de).

Während wir der Pandemie durch seine Omnipräsenz in den Medien kaum entfliehen können, so können wir dennoch durch unsere Einstellungen und Verhaltensweisen Dinge verändern und somit unser persönliches Sicherheitsgefühl stärken. Lernen wir MIT Corona zu leben.

Sicherheit gewinnen ist das Leitthema der Herbstausgabe der Fachzeitschrift Patienten-Bibliothek – Atemwege und Lunge. Betrachtet aus der Perspektive der Wissenschaft finden Sie nachfolgend den Beitrag mit Professor Dr. Pfeifer, weiterhin die Darstellung der zukunftsorientierten Verbesserung der Versorgung durch die Installation eines Registers von Dr. Bachmann und die Kolumne des Arztes und COPD-Patienten Dr. Barczok.

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Einen besonderen Stellenwert in dieser Ausgabe nimmt die Motivation für das tägliche Training und dessen ganz praktische Umsetzung auch zu Hause ein. Viel zu lange wurde die körperliche Bewegung in den letzten Wochen und Monaten vernachlässigt, was sich manchmal nicht nur in der Verschlechterung der gesundheitlichen Gesamtsituation widerspiegelt, sondern möglicherweise in einem Verlust des eigenen Sicherheitsgefühls. 

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Doch zunächst erfahren wir im Gespräch mit Professor Dr. Michael Pfeifer, Chefarzt Klinik Donaustauf, Universitätsklinikum Regensburg, Krankenhaus Barmherzige Brüder Regensburg und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin e.V. (DGP) mehr über die wissenschaftlichen Aspekte und wie wir unser Leben mit Corona gestalten können.

Wie kann die Situation mit CoVid-19 in Deutschland aktuell beschrieben werden – auch im Kontext der internationalen Betrachtung?

Die Situation in Deutschland hat sich in den letzten Wochen deutlich entspannt – allerdings sehen wir jetzt wieder mehr Infektionen, wobei zur Zeit die Verläufe sehr milde sind und deutlich weniger Patienten als im Frühjahr stationär im Krankenhaus behandelt werden müssen. Grundsätzlich aber ist das Gesundheitssystem in Deutschland deutlich stabiler als im Vergleich beispielsweise zu den USA oder auch zu Südamerika.

Innerhalb von Europa sind die Länder deutlich entlasteter als zu Beginn der Pandemie. Wir haben noch Probleme in Großbritannien und verzeichnen aufgrund vielfältiger Reisebewegungen in der Ferienzeit einen Anstieg der Infektionszahlen etwa in Spanien. Dennoch haben sich die Belastungen auf dasGesundheitssystem im europäischen Raum, aber insbesondere in Deutschland, deutlich stabilisiert. Das Risiko einer Ansteckung konnte reduziert werden. 

Trotzdem nehmen Patienten, insbesondere chronisch kranke Patienten, nach wie vor deutlich weniger Termine wahr. Oftmals wird nicht einmal die dringend notwendige Hilfe für Zuhause, aufgrund einer möglichen Ansteckungsgefährdung, in Anspruch genommen. Die Gesamtsituation gerade von Patienten mit einer Erkrankung in fortgeschrittenem Stadium verschlechtert sich spürbar  – so berichten Patienten – was meist in Kauf genommen wird. Manche Patienten hegen die Hoffnung, dass das Virus irgendwann entweder wieder verschwunden sein wird oder Impfungen bzw. Medikamente greifen und sie dann mit ihrem Gesamtpaket an Behandlungsmaßnahmen neu ansetzen können. Was kann man diesen Patienten sagen?

Die Situation, die Sie schildern, erlebe auch ich in der täglichen Praxis. Patienten sind so verunsichert, dass sie nicht einmal ihre unmittelbaren Angehörigen um Unterstützung bitten. Gerade bei Patienten, die zur Risikogruppe zählen, sind daher erhebliche Probleme bei der Versorgung aufgetreten. Wir betrachten diese Entwicklung mit großer Sorge.

Wir sollten uns bewusst machen, dass die Ansteckungsgefahr derzeit noch gering ist und auch Risikopatienten sowohl besucht als auch umfassend versorgt werden sollten – natürlich immer unter Berücksichtigung der entsprechenden Schutzmaßnahmen.

Wir erleben weiterhin, dass einige Patienten aus Angst ihre notwendigen Behandlungen im Krankenhaus nicht antreten, was mit einer deutlichen Gefährdung dieser Patienten einhergeht. Hier empfehle ich eindringlich, dass die Patienten ihre Sorgen unbedingt immer mit dem behandelnden Arzt besprechen und keine einsamen Entscheidungen treffen sollten.

Gleiches gilt für das Einhalten der verordneten Therapien. Auch hier sind Unsicherheiten aufgetreten, da vermutet wurde, dass Medikamente, wie z. B. Kortison, möglicherweise mit einem höheren Risiko für eine Infektion behaftet sein könnten. Doch dieser anfängliche Verdacht hat sich nicht bestätigt.

Grundsätzlich sollte eine bestehende Therapie niemals eigenmächtig geändert oder abgesetzt werden. Patienten gefährden sich sonst selbst, es besteht die Gefahr einer Verschlechterung des Verlaufs der Erkrankung. Patienten sollten immer das Gespräch mit dem behandelten Arzt suchen.  

Die strikten Maßnahmen eines Lockdowns, die in den Monaten März und April notwendig waren, sind aktuell nicht mehr erforderlich. Die daraus entwickelte, vollständige Absonderung von Patienten muss unbedingt relativiert werden. Eine übertriebene Isolation kann eher schädlich als nützlich sein.

Wir müssen lernen, mit dem Coronavirus zu leben, möglicherweise über eine Zeitstrecke von mehreren Jahren. Das Virus wird nicht einfach verschwinden.

Die vielfältigen, täglich neuen Informationen verunsichern Patienten stark. Es ist kaum möglich, Neuigkeiten auf ihre tatsächliche Relevanz einzuschätzen. Umso wichtiger sind verlässliche Quellen zur Orientierung.

Was sollten Patienten über die Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin e.V. (DGP) wissen?

Die DGP ist primär eine wissenschaftliche Fachgesellschaft. Die Gesellschaft veröffentlicht gemäß dem aktuellen wissenschaftlichen Stand Leitlinien und Empfehlungen zur Orientierung für die Ärzteschaft in der ärztlichen Praxis, der Ambulanz oder auch dem Krankenhaus.

Bedenken wir, dass erst im Februar dieses Jahres die ersten Fälle in Deutschland mit dem neuen Virus aufgetreten sind, wird verständlich, dass wir täglich mehr über diese Erkrankung lernen. Die DGP fasst die aktuellen Informationen zusammen und bewertet sie aus wissenschaftlicher Perspektive. Bei den veröffentlichten Empfehlungen handelt es sich also um für Patienten schwer verständliche medizinische Fachliteratur. 

Primärer Ansprechpartner bei Verunsicherungen von Patienten ist daher zunächst der behandelnde Arzt.

Dennoch nehmen wir natürlich wahr, dass die enorme Informationsflut keineswegs zu einer Sicherheit, sondern vielmehr zu einer Verunsicherung beiträgt. Auch als wissenschaftliche Gesellschaft müssen wir uns dem Thema der Patienteninformation mehr annehmen. Gemeinsam mit den assoziierten Gesellschaften der DGP, d.h. der Deutschen Atemwegsliga e.V. und der Deutschen Lungenstiftung, werden wir in naher Zukunft patientenorientierte, verständlich aufbereitete Informationen auf Basis der wissenschaftlichen Daten veröffentlichen.

Die Maskenpflicht ist ein ständig präsentes Thema. Die DGP hat eine Stellungnahme zum Maskeneinsatz bei Patienten mit kardialen (das Herz betreffende) und pulmonalen (die Lunge betreffende) Vorerkrankungen veröffentlicht. Welche Hinweise sind für chronische Lungenpatienten in der täglichen Anwendung von besonderer Bedeutung?

Grundsätzlich sprechen wir uns für den Einsatz von Masken aus. Während im Freien Masken nur erforderlich sind, wenn eine ausreichende Distanz nicht sicher eingehalten werden kann, sollten in geschlossenen Räumen, wenn Menschen zusammenkommen, Masken getragen werden.

Eine Maske bedeutet allerdings keinen 100-%igen Schutz. Da verschiedene Arten von Masken mit unterschiedlicher Materialdichte zur Verfügung stehen, ist auch zu berücksichtigen, dass es ggf. zu einer nicht unerheblichen Belastung beim Atmen kommen kann.

Daher sprechen wir uns in den Empfehlungen dafür aus, dass an Lunge oder an Herz vorerkrankte Patienten, insbesondere bei fortgeschrittener Erkrankung, sich eng mit ihrem behandelnden Arzt – also dem Pneumologen oder dem Kardiologen – über das Tragen und die Auswahl der Maske abstimmen sollten. Falls erforderlich, kann der Arzt zusätzliche Untersuchungen vornehmen und beispielsweise die Sauerstoffwerte mit und ohne Maske messen, die Atemfrequenz oder den Herzschlag überprüfen und somit einschätzen, ob sich durch das Tragen einer Maske eine klinische Veränderung und somit eine zu starke Belastung für den Organismus entwickelt. 

Es ist immer wieder zu betonen, dass die Kommunikation mit dem Arzt in Zeiten von Corona einen nochmals deutlich höheren Stellenwert einnimmt als bisher.

Die kühlere Jahreszeit liegt vor uns und damit einhergehend ein grundsätzlich höheres Risiko für Virusinfektionen. Was ist in diesem Jahr besonders zu bedenken, welche Vorsorge kann und sollte getroffen werden?

Natürlich können wir nicht vorhersagen, wie sich das Virus in der Zukunft verhalten wird. Wir müssen jedoch damit rechnen, dass in den Wintermonaten, alleine durch die Tatsache, dass wir uns vermehrt wieder in geschlossenen Räumen aufhalten werden, möglicherweise die CoVid-Infektionsrate ansteigt.

Das, was wir alle tun können und unbedingt tun sollten, ist die konsequente Fortsetzung der eingeübten Maßnahmen – also die Abstandshaltung, das Tragen von Masken in öffentlichen Räumen und in geschlossenen Räumen außerhalb des familiären Umfeldes und das Einhalten der Händehygiene.

In Australien, ein Kontinent, der uns die Jahreszeiten betreffend etwa ein halbes Jahr voraus ist, gibt es erste Hinweise darauf, dass resultierend aus der strikten Einhaltung dieser Schutzmaßnahmen deutlich weniger Influenzainfektionen zu beobachten sind.

Natürlich haben wir die Sorge, dass neben möglicherweise ansteigenden CoVid-Infektionen im Winter zeitgleich hohe Influenzainfektionen das Gesundheitssystem überlasten könnten.

Eine Grippeimpfung ist in Coronazeiten daher besonders wichtig.

Fragen zu der eigenen Risikosituation und ob noch weitere Impfungen, wie die Pneumokokkenimpfung erforderlich sind, sollte mit dem behandelnden Arzt besprochen werden.      

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Wie können wir uns bestmöglich auf ein Leben mit Corona einstellen?

Wir sollten uns zunächst eins immer vor Augen halten: über 90 % der Infizierten haben einen milden Verlauf ohne schwere Symptomatik.

Zudem mehren sich Hinweise, dass wir Medikamente zur Verfügung haben werden, die einen schweren Verlauf zu mindestens lindern können.

Im Februar, März wussten auch wir Ärzte noch nicht, was überhaupt auf uns zukommt. Aber selbst zu diesen Zeiten gab es in Deutschland nur wenige Engpässe. Inzwischen haben wir uns auf die Situation eingestellt, Konzepte und Strukturen für die Behandlung der Betroffenen im Krankenhaus entwickelt und installiert, sodass ich sehr zuversichtlich bin, dass unser Gesundheitssystem auch die kommenden Herausforderungen meistern wird und wir keine Defizite und Einschränkungen haben werden.   

Langfristig hoffen wir natürlich, dass durch Impfungen ein Schutz gegen das Virus gewährleistet werden kann. Diese Entwicklung wird allerdings noch etwas dauern. 

Wie gehen Sie persönlich als Arzt und Wissenschaftler mit den Unsicherheiten bzw. dem „noch nicht Wissen“ um CoVid-19 um?

Eine berechtigte Frage. Natürlich haben wir Ärzte genau die gleichen Befürchtungen wie jeder andere auch. Was bedeutet es, wenn ich mich persönlich infiziere? Was ist mit meiner Familie?

Ich selbst arbeite als Pneumologe in einer Klinik mit schwerst erkrankten CoVid-Patienten, setze mich somit einer hohen Ansteckungsgefährdung aus und kenne die Ängste.

Doch inzwischen haben wir die Erfahrung gemacht, dass die Schutzmaßnahmen tatsächlich wirkungsvoll greifen. In unserem Krankenhaus etwa haben wir weit über 100 Patienten auf der Intensivstation behandelt. Die Ansteckungsrate, selbst bei den Kolleginnen und Kollegen, die wie ich, immer auch auf der Intensivstation waren, war praktisch null. In unserem Krankenhaus sind keine schwerwiegenden Probleme und nur ganz wenige Infektionen aufgetreten.

Wir wissen nun aus eigener Erfahrung, dass wir uns schützen können, wenn wir die Schutzmaßnahmen konsequent durchführen.

Parallel zu diesen Erfahrungen ist ein Lernprozess von immer mehr Wissen um das Virus einhergegangen. Worauf wir achten müssen, welche Risikofaktoren bestehen, wie wir reagieren müssen, wenn die und die Symptome auftreten, können wir nun besser einschätzen.

Eigene Erfahrungen und mehr Wissen haben bei mir persönlich dazu beigetragen, dass ich deutlich ruhiger und entspannter im Umgang mit der Erkrankung geworden bin. 

Dennoch, wir müssen weiterhin wachsam sein und weiterhin sehr streng, sehr konsequent die hygienischen Maßnahmen und den Selbstschutz fortführen.  

Weitere Informationen sowie Empfehlungen, Statements und Leitlinien finden Sie auf den Seiten der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin e.V. (DGP).


Bildnachweis:
tatoman, Fiedels – AdobeStock
Professor Dr. Michael Pfeifer
Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin e.V. (DGP)

Text/Interview:
Sabine Habicht – Redaktionsleitung Patienten-Bibliothek


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Der Beitrag wurde in der Herbstausgabe 2020 der Patienten-Bibliothek – Atemwege und Lunge veröffentlicht.


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