Schlüssel zu mentaler Stärke

Kohärenzgefühl und Resilienz

An COPD erkrankte Menschen stehen vor der großen Herausforderung ihr Leben und den Alltag an die Belastungen, die diese chronische Erkrankung mit sich bringt, anzupassen. Dabei gilt es, alle Möglichkeiten zur Verringerung der Symptome zu nutzen und zusätzlichen körperlichen Einschränkungen entgegenzuwirken. Das Ziel ist, das Maß an gesundheitlicher Lebensqualität so hoch wie möglich zu halten.

Viele mit chronischen Krankheiten verbundenen Beeinträchtigungen sind zwar nicht heilbar, wohl aber in eine positive Richtung veränderbar. Die vorliegenden Forschungsergebnisse zu den Konzepten „Salutogenese“ und „Resilienz“ spielen hier  bei der Weiterentwicklung psychischer Schutzfaktoren eine große Rolle.

Es gilt, individuelle Ressourcen und Fähigkeiten effektiver zu nutzen, um auf diese Weise mentale Stärke zu gewinnen. Gesteigerte Selbstbewusstheit fördert die Selbstwirksamkeit und erleichtert den Betroffenen die Übernahme von Eigenverantwortung und trägt nachhaltig zur leichteren Bewältigung von Alltagsaufgaben bei.

Im Sinne kompetenzorientierter Rehabilitation ist es daher unverzichtbar, Patienten auf ihrem Weg zu sich selbst zu begleiten und ihr Selbstvertrauen auszubauen.

Gesundheit und Krankheit gehören zusammen

Lange Jahre konzentrierten sich die Gesundheitswissenschaften ausschließlich auf die Bekämpfung von Krankheitsauslösern und Gesundheitsrisiken (Impfungen, Vorsorgeuntersuchungen etc.), der sogenannten Pathogenese. Ein Mensch galt demnach als gesund, wenn er an keiner diagnostitierten Erkrankung litt.

Doch schon 1986 erweiterte die WHO dieses Gesundheitsverständnis um den Ansatz der Entstehung und Förderung von Gesundheit, der sogenannten Salutogenese. Dieses Konzept basiert auf den sozialwissenschaftlichen Forschungen des Medizinsoziologen Aaron Antonovsky.

Aus salutogenetischer Sicht sind Gesundheit und Krankheit zwei sich nicht ausschließende Zustände, sondern zwei Endpunkte eines gemeinsamen, lückenlosen Zusammenhangs (Kontinuums). Dabei bewegt sich jeder Mensch im Laufe seines Lebens immer zwischen den Polen „völlige Gesundheit“ und „völlige Krankheit“, beides existiert gleichzeitig nebeneinander.

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Das ständige, sich verändernde Zusammenspiel von Belastungen und Ressourcen kennzeichnet den Gesundheitszustand eines Menschen und seine jeweilige Position auf der Skala des Gesundheits-Krankheits-Kontinuums.

Im Zentrum der Salutogenese stehen Gesundheitsfaktoren, die als Schutzfaktoren die Entwicklung in Richtung des positiven Endes des Kontinuums fördern.  Diese Faktoren sind einzig und allein auf die Entstehung- und Erhaltung von Gesundheit ausgerichtet.

Hier bekommt das von Antonovsky erforschte „Kohärenzgefühl“ eine zentrale Bedeutung.

Vertrauen in sich selbst


Kohärenzgefühl als Basis der Krankheitsbewältigung

Aaron Antonovsky bezeichnet das „Gefühl von Vertrauen eines Menschen in sich, das ihn, trotz einer zunächst als potenziell bedrohlich bewerteten Situation, dazu befähigt erfolgreich zu handeln“ als Kohärenzgefühl. Er gliedert dieses Gefühl in die drei Vertrauensaspekte Verstehbarkeit, Machbarkeit und Sinnhaftigkeit.

Die Stärke dieses META-Gefühls gibt Auskunft darüber, wie gesund ein Mensch ist. Je stärker das Kohärenzgefühl, desto gesünder ist der Mensch, bzw. desto leichter wird er gesund.

Die Aufgabe einer pneumologischen Rehabilitation besteht darin, das Vertrauen des erkrankten Menschen in sich und seine Fähigkeit in allen drei Bereichen auszubauen:

  • Vertrauen als Gefühl von Verstehbarkeit (kognitiv)

Zur Stärkung dieses Aspekts ist es die Aufgabe der Experten, mittels Aufklärung und Information die Patienten soweit zu schulen, dass sie ihre Erkrankung und alle  krankheitsspezifischen Begleiterscheinungen verstehen und sicher einordnen können.

Diese (Selbst-)Vertrauensebene vermeidet u.a. situationsbedingten Stress und Überforderung.

  • Vertrauen als Gefühl der Machbarkeit (pragmatisch)

Diese Kernaufgabe aller Schulungen, Trainings und Anwendungen in der Rehabilitation vermittelt den Patienten das Werkzeug, für sich konkrete Handlungs- und Lösungswege zur Bewältigung von Hürden zu entwickeln. Hier hat jeder Mensch andere Präferenzen, die ein umfangreiches Angebotsportfolio erfordern.

Der Patient soll vieles ausprobieren, aktiv mitentscheiden was ihm liegt und vor allem, was ihm Spaß macht. Nur solche Elemente wird er später in seinem Alltag etablieren und nachhaltig weiterführen.

  • Vertrauen als Gefühl von Sinnhaftigkeit (emotional)

Für Antonovsky ist dieser motivationale Aspekt der wichtigste. Ohne  Sinnhaftigkeit und ohne positive Erwartungen an das Leben kann sich trotz hoher Ausprägung der beiden anderen Komponenten kein hoher Wert für das Kohärenzgefühl ergeben. Ein Mensch ohne Erleben von Sinnhaftigkeit wird das Leben in allen Bereichen nur als Last empfinden und jede weitere sich stellende Aufgabe als zusätzliche Qual.

Diese mentalen Auswirkungen von Vertrauenssteigerungen während der Rehabilitation haben somit fundamentalen Stellenwert. Deshalb werden an die Wirksamkeit der Reha-Konzepte i. S. einer individuellen Betreuung hohe inhaltliche Anforderungen gestellt:

  • Würdigung der Gesamtsituation des Erkrankten. Seine Einordnung als Betroffener in den Kontext seines Lebens durch ärztliche, therapeutische und wertschätzende Begleitung. 
  • Das Erleben der Sinnhaftigkeit und der Erfolge von vermittelten Trainingsinhalten zur Besserung von Gesundheitselementen, bzw. zur Erleichterung bei der Bewältigung von Krankheitsfolgen und deren Verarbeitung.
    Wissenschaftlich fundierte Erfolgsmessungen wie z. B. der 6-Minuten-Gehtest, die BIA (bioelektronische Impedanzmessung – hierbei werden Parameter wie Körpergewicht, Körperfett, Muskelmasse und Wasserhaushalt analysiert) oder die CO-Messung (Kohlenmonoxid-Messung), durchgeführt am Anfang und am Ende der Maßnahme, verzeichnen ergänzend erfahrungsgemäß große Motivationserfolge.

Die Steigerung des Kohärenzgefühls eines Erkrankten schafft die mentale Grundlage für ausgeprägtes Vertrauen in die eigenen Ressourcen und Fähigkeiten.

Aufbauend auf dieser Basis erfolgt danach die weitere Stärkung der psychischen Widerstandkraft des Patienten mit der Steigerung seiner individuellen Resilienz.

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Resilienz – Das Immunsystem der Seele

Jeder Mensch erlebt im Laufe seines Lebens unterschiedlich starke Krisen. Manche trifft es so schwer, dass sie die Hoffnung verlieren und an der Belastungssituation fast zerbrechen. Sie fühlen sich ohnmächtig und dem Erlebten hilflos ausgeliefert. Nicht selten entwickeln sich daraus auch Erschöpfungszustände, Depressionen, Angststörungen oder andere psychische Einschränkungen.

Aber es gibt auch Menschen, die Schicksalsschläge gut verarbeiten. Sie leiden zwar nicht weniger, finden aber aus eigener Kraft und mit einem festen Glauben an die eigenen Fähigkeiten wieder zurück in ein glückliches Leben.

Das liegt am Ausprägungsgrad der psychischen Widerstandskraft. Wissenschaftler sprechen hier von der Resilienz. Das lateinische Wort „resilire“ bedeutet übersetzt „zurückspringen“, oder „abprallen“.

Resilienz bezeichnet die mentalen Fähigkeiten und Stärken leichter mit belastenden Lebensumständen umgehen zu können. Diese Widerstandskraft ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich ausgeprägt.  Aber sie kann unabhängig von der individuellen Ausgangsbasis und in jedem Alter, trainiert werden. Diese Chance gilt im Besonderen auch für erkrankte Menschen und ist während der Reha umfassend zu nutzen.

Welche Potenziale resiliente Menschen abrufen können ist zum Teil sehr erstaunlich.

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Der Weg zur Stärkung der Resilienzeigenschaften

Die Selbstwirksamkeit, das Vertrauen in sich selbst, spielt wieder eine entscheidende Rolle. Resiliente Menschen fühlen und wissen, dass sie dank ihrer inneren Stärke und ihrer Kompetenzen einen Weg aus der Krise finden und Herausforderungen bewältigen können.

Diese Menschen verlassen die Opferrolle und übernehmen die Selbstverantwortung für ihr Leben, nicht ohne auch die eigenen Grenzen zu kennen.

Auch die optimistische Grundhaltung trägt zur Stärkung der Resilienz bei. Optimisten lenken ihre Aufmerksamkeit auf die Zukunft, anstatt auf die Vergangenheit und verwenden ihre Energie lösungsorientiert.

Denken, Reden und Handeln müssen zukunftsorientiert, mit dem Ziel, mögliche Lösungen zu finden, ausgerichtet sein. All das zählt zu den Voraussetzungen für den Ausprägungsgrad der Lösungskompetenz.

Menschen mit hoher Resilienz trägt die Überzeugung, dass alle Erlebnisse und jede Erfahrung im Leben einen Sinn haben und zu ihrer eigenen Weiterentwicklung beitragen.
Dazu gehört auch die Resilienzfähigkeit ist der Faktor Akzeptanz. Veränderungen werden akzeptiert, statt gegen sie anzukämpfen.

Von unschätzbarem Wert ist in Krisenzeiten auch ein gut funktionierendes soziales Netzwerk. Schon das Wissen auf einen starken Rückhalt in der Familie, beim Partner oder bei guten Freunden vertrauen zu können, fördert die Resilienz.
Um ein funktionierendes Netzwerk zu pflegen und zu erhalten, bedarf es eines hohen Maßes an sozialer Kompetenz. Soziale Kompetenz beschreibt die Fähigkeit, einfühlsam, fair und konstruktiv mit Menschen umzugehen.

Resiliente Menschen planen proaktiv und zielgerichtet ihre Zukunft, setzen sich für ihre Wünsche und Pläne ein, in dem festen Glauben, das eigene Leben meistern zu können. Dieser positive Blick auf die Welt und auf abrufbare Potentiale festigt nachhaltig die innere Stärke der Menschen.

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Resilienzstärkung – unverzichtbarer Bestandteil einer Reha

Jeder einzelne der 7 Resilienzpotenziale und die im Resilienzkompass abgebildeten Faktoren sind für die Ausprägung der seelischen Widerstandskraft von gleich großer Bedeutung. Wenn sie gleichermaßen trainiert und in den aktiven Lernprozess des Umdenkens eingebunden werden, ist Resilienz mehr als nur eine Anpassung an aktuelle widrige Umstände. Resilienzschulungen sind Bestandteil der modernen Rehabilitation.

Zur Stärkung der Resilienz gehören Angebote, wie beispielsweise Achtsamkeitsübungen, Entspannungs- und Stressbewältigungstrainings, Atemschulungsprogramme, Coachings, Wissensvermittlung zu Schutzfaktoren, PRÄGRESS®-Yoga, Krankheitsbewältigung, ebenso wie spezifische Bewegungs- und Ernährungskonzepte.

Wird in der Erkrankung auch eine Chance gesehen, um als Mensch daran zu wachsen, ist dies der beste Weg, seine eigene Überlebensstrategie zu entwickeln und wieder Glück und eine gesteigerte Lebensqualität zu erfahren!

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Dr. Ralf J. Jochheim
Gesundheits- und Klinikmanager
Nordseeklinik Westfalen, Wyk auf Föhr
www.Nordseeklinik.online
www.coronach.online

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Sabine Jochheim
Gesundheitstrainerin und Geschäftsführerin
Gesellschaft für Resilienz
www.Resilienz.guide

Bildnachweis:
AdobeStock – Robert Kneschke
Nordseeklinik Westfalen


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Der Beitrag wurde in der Frühjahrsausgabe 2019 der Patienten-Bibliothek – Atemwege und Lunge veröffentlicht.


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