Lebensabschnitte souverän gestalten

Wie gründe ich eine ambulant betreute Wohngemeinschaft?

„Aus der Not heraus entschied ich mich, eine ambulant betreute Wohngemeinschaft zu gründen. Meine Erkundigungen bei diversen Ämtern und Institutionen hatten ergeben, dass der Staat und die Krankenkassen nicht daran interessiert sind, dass pflege- beziehungsweise hilfsbedürftige Betroffene, egal welchen Alters, die Pflegeheime füllen. Stattdessen unterstützen sie Interessierte dabei, sich in einer größeren Wohnung oder auch in einem Einfamilienhaus zusammenzuschließen, um eine ambulant betreute Wohngemeinschaft zu gründen.    

Das Wohnen und die damit verbundenen Bedürfnisse und Wünsche bleiben auch mit einer Behinderung von zentraler Bedeutung. Die überwiegende Mehrheit möchte in den eigenen vier Wänden bleiben können, auch wenn der Betreuungs- und Pflegeaufwand steigt.  Sollte dies aufgrund zunehmender Hilfs- beziehungsweise Pflegebedürftigkeit nicht möglich sein, wächst der Wunsch nach einer Wohnform, die individuelles und autonomes Wohnen, medizinische Unterstützung und Sicherheit, soziale Kontakte, hauswirtschaftliche Unterstützung, gute Pflege und komfortables Wohnen miteinander verbindet. Ambulant betreute Wohngemeinschaften greifen diese Bedürfnisse auf.

Vielfältige Informationen, Anlaufstellen zur Beantragung, Hinweise zur Finanzierung und weitere Tipps finden Sie im neuen Ratgeber: Wie gründe ich eine ambulant betreute Wohngemeinschaft?

Der Ratgeber will aufzeigen, dass es von Vorteil sein kann, mit anderen Betroffenen den eigenen Lebensweg ein Stück gemeinsam zu gehen. Das Projekt bedarf gründlicher Vorbereitung, vor allem auch bei der Auswahl der Mitbewohner. Grundvoraussetzung ist und bleibt eine klare und ehrliche Kommunikation zwischen den Beteiligten, damit ein respektvolles und zufriedenes Zusammenleben möglich ist.“

Das Buch gliedert sich in zwei Teile. Im ersten Teil schildert die Autorin, welche konkreten Erfahrungen sie persönlich mit der Wohnform einer ambulant betreuten Wohngemeinschaft hat. Der zweite Teil enthält Informationen für die Gründung und Durchführung einer ambulant betreuten WG sowie zu den umfangreichen Finanzierungshilfen, die zur Verfügung stehen.

Annette Hendl ist Vorstandsmitglied und Gruppenleiterin der Deutschen Sauerstoff- und BeatmungsLiga LOT e.V. Sie hat bereits mehrere Ratgeber, u.a. „Leben mit Sauerstoff-Langzeittherapie – Erfahrungen, Infos und Tipps“, veröffentlicht. 

Schla╠êuche-unter-der-Tu╠êr-747x1024 Lebensabschnitte souverän gestalten
Wohngemeinschaft mit Sauerstoff, Annette Hendl (links), Margrit Selle (rechts)

Welche persönlichen Erfahrungen möchten Sie an andere weitergeben?

Empfehlenswert ist grundsätzlich eine rechtzeitige Auseinandersetzung mit dem Gedanken: Wie könnte mein persönlicher nächster Lebensabschnitt aussehen, wie möchte ich ihn gestalten? 

Aus einer Notlage heraus, wie dies bei mir durch den unerwarteten Tod meines geliebten Mannes Christian mit gerade mal 55 Jahren der Fall war, Entscheidungen treffen zu müssen, ist immer schwierig – allein aufgrund des sich einstellenden Zeitdrucks.

Eine Wohngemeinschaft bietet eine Option, die man für sich entdecken kann. Für Studenten ist es ganz normal, sich für eine Wegstrecke zusammenzufinden, weil man in einer ähnlichen Lebenssituation ist. Doch auch für Senioren, für Behinderte und ebenso für Pflegebedürftige ist diese Thematik sinnvoll, denn – und das ist ganz wichtig – man kann auch dann selbstbestimmt leben.

Vielen Menschen ist nicht klar, dass sie in einer ambulant betreuten Wohngemeinschaft ein absolut selbstständiges Leben führen, unabhängig von einer Pflegeeinrichtung. Ja, natürlich, auch Pflegedienste bieten inzwischen betreute Wohngemeinschaften an, doch in diesen unterliegen sie den jeweiligen dort gültigen Richtlinien, ohne Mitspracherecht.

In einer selbst organisierten betreuten Wohngemeinschaft hat man hingegen eigene Gestaltungsmöglichkeiten, kann beispielsweise auswählen, welche Hilfen man in Anspruch nehmen möchte. Es ist nicht einmal erforderlich, dass sich die gesamte Wohngemeinschaft  für eine gemeinsame Hilfe entscheidet. Vielmehr kann jeder seinen eigenen Dienst wählen, also den, der zu ihm passt. Viele Hilfsangebote, die in manchen Fällen in Anspruch genommen werden könnten, sind zudem überhaupt nicht bekannt, wie z. B. auch ein sog. persönlicher Assistent.

In unserer Gesellschaft leben so viele Menschen, die ganz auf sich allein gestellt sind. Im Alter, oder wenn man pflegebedürftig wird, kann eine Wohngemeinschaft daher eine neue Chance bedeuten. Eine WG kann für seine Bewohner nicht nur „mitreißend“ sein, sondern gleichzeitig eine ganz neue Perspektive eröffnen. Es ist immer jemand da, man kann gemeinsam Unternehmungen umsetzen, am Abend gemeinsam fernsehen und vieles mehr.

Einen gewissen Teil des Tages verbringt man in einer WG gemeinsam, auch wenn jeder sein eigenes Zimmer hat. Jeder sollte reflektieren, was er wirklich will, wie viel Nähe er möchte und aushalten kann. Sich mit diesen Fragen und ebenso mit weiteren Fragen auseinanderzusetzen, stellt die Basis dar, anhand deren man auf die Suche nach individuell passenden Mitbewohnern gehen kann, wie z. B. im Bekanntenkreis oder auch in der Selbsthilfegruppe.  

Schla╠êuche-unter-der-Tu╠êr-747x1024 Lebensabschnitte souverän gestalten
Wohngemeinschaft mit Rampen…
Schla╠êuche-unter-der-Tu╠êr-747x1024 Lebensabschnitte souverän gestalten
…mit Sauerstoffdepot
Schla╠êuche-unter-der-Tu╠êr-747x1024 Lebensabschnitte souverän gestalten
…und mit Treppenlift

Welche Anlaufstellen zur Unterstützung waren für Sie besonders wichtig?

Dreh- und Angelpunkt sind zunächst Wohnberatungsstellen, die es unmittelbar in der Gemeinde oder in der jeweiligen Stadtverwaltung gibt. Wohnberatungsstellen verfügen sowohl über Basisinformationen als auch regional weiterführende Adressen zur ergänzenden Orientierung.

Da es momentan keine zentrale Stelle für die Thematik der ambulant betreuten Wohngemeinschaft und deren finanzielle Unterstützungsmöglichkeiten gibt, habe ich den zweiten Teil meines Ratgebers dazu genutzt, um alle derzeit verfügbaren Informationen strukturiert zusammenzutragen.

Grundsätzlich sollte jeder wissen, dass es ausgesprochen viele Möglichkeiten der finanziellen Unterstützung gibt – nur kennt man diese meistens nicht. Dieser Umstand liegt vor allem daran, dass Finanzierungshilfen aus ganz unterschiedlichen „Töpfen“ zur Verfügung stehen, meistens abhängig davon, ob es sich um eine Pflegebedürftigkeit, eine Behinderung oder einen Wohnungsumbau handelt. 

Der Staat und öffentliche Institutionen haben ein hohes Interesse daran, Projekte wie ambulant betreute Wohngemeinschaften zu unterstützen. Diese fördern nicht nur die Lebensqualität des Einzelnen, sondern entlasten gleichzeitig Pflegeheime mit deutlich höheren Kosten.

Mit meinem Ratgeber möchte ich Mut machen, sich mit der Wohnform WG, aber auch überhaupt mit seinem nächsten Lebensabschnitt aktiv auseinanderzusetzen. Ein Leben ist nicht in Stein gemeißelt, es befindet sich immer alles im Fluss. Situationen verändern sich, haben Sie den Mut, sich auf neue Dinge einzulassen. Eine Wohngemeinschaft kann eine Alternative bedeuten.


Schla╠êuche-unter-der-Tu╠êr-747x1024 Lebensabschnitte souverän gestalten

Wie gründe ich eine ambulant betreute Wohngemeinschaft?
Erfahrungen, Infos, Tipps und Finanzierungshilfen

Annette Hendl, Mühldorf
Verlag Hartmut Becker, www.verlag-hartmut-becker.de
ISBN: 978-3-929480-71-9

Text/Interview:
Sabine Habicht, Redaktionsleitung Patienten-Bibliothek – Atemwege und Lunge

Bildnachweis:
Margrit Selle
Annette Hendl


Schla╠êuche-unter-der-Tu╠êr-747x1024 Lebensabschnitte souverän gestalten

Der Beitrag wurde in der Winterausgabe 2020 der Patienten-Bibliothek – Atemwege und Lunge veröffentlicht.


Schreibe einen Kommentar