Leben mit Sauerstoff-Langzeittherapie

Das Leben gestalten

Annette_Hendl Leben mit Sauerstoff-Langzeittherapie

Annette Hendl (57) aus Oberbayern wendet sich mit ihrem autobiografischen Patientenratgeber „Leben mit Sauerstoff-Langzeittherapie“ sowohl an Lungenerkrankte mit Sauerstofftherapie als auch an Ärzte, Psychotherapeuten, Krankenpfleger und an Angehörige.

Sie beschreibt ihr Leben nach der Diagnosestellung eines Asthma-COPD-Overlap-Syndroms (ACOS), die Veränderungen und die Ängste, die eine chronische Erkrankung und die notwendige Langzeit-Sauerstofftherapie mit sich bringen, ebenso wie die positiven Erfahrungen, die Hilfestellungen und den neuen Lebensmut angesichts der Erkrankung.

Wir haben einige Passagen aus dem Buch herausgegriffen und darüber mit Annette Hendel gesprochen.

„Manche Menschen betrachten andere Menschen mit einer sichtbaren Einschränkung auf eine Art und Weise, die deren Selbstbild verletzt. Das führt oft dazu, dass sich die Betroffenen nur selten in die Öffentlichkeit trauen und sich immer weiter zurückziehen.“

Als Heilerziehungspflegerin und Erzieherin habe ich mehr als 30 Jahre mit Schwerstbehinderten zusammengearbeitet. Diese Jahre haben mich natürlich sehr geprägt und mir dabei geholfen, meine eigene Erkrankung zu relativieren. Berührungsängste in der Öffentlichkeit mit der Langzeit-Sauerstofftherapie (LOT) hatte ich aufgrund dieser Erfahrung zwar nicht, aber ich bin aufgrund meiner Tätigkeit sehr sensibilisiert für den Blickwinkel sichtbarer Einschränkungen.

Unsicherheiten im Umgang mit der LOT, dem vielfältigen Zubehör und auch der Erkrankung selbst hatte ich allerdings schon. Durch die Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe der Deutschen Sauerstoff- und BeatmungsLiga LOT e.V. konnte ich jedoch sehen, dass andere Betroffene mit der LOT zurechtkommen und ich keineswegs alleine bin. Das hat mich gestärkt und mir Ängste genommen. Der Austausch hat mir zudem viele hilfreiche Informationen über das Arztgespräch hinaus ermöglicht.

Heute bin ich Leiterin der Selbsthilfegruppe in Mühldorf am Inn und erlebe viel zu häufig, dass Lungenerkrankte ihre Sauerstoffversorgung ablegen, bevor sie in die Öffentlichkeit gehen. Obwohl die Sauerstoffversorgung gerade in den Momenten, in denen man sich körperlich bewegt, besonders dringend benötigt wird.

Ein wichtiges Anliegen ist es mir daher, anderen Mut zu machen und auch Möglichkeiten zu eröffnen, sich mit der LOT freier bzw. mit einer Art Selbstverständlichkeit zu bewegen – so wie dies für mich möglich ist. 

Über das Buch kann ich viele Informationen, persönliche Eindrücke und Erfahrungen vermitteln und auch die Öffentlichkeit auf das Thema aufmerksam machen.

Über meine Arbeit in der Selbsthilfe wiederum kann ich beispielsweise durch die jährliche Organisation von Gruppenfahrten auch ganz praktische Unterstützung für gemeinschaftliche erste Schritte in die Öffentlichkeit mit LOT leisten.

„Ich glaube, viele Betroffene haben Angst davor, an ihrem Leben etwas zu ändern. Es braucht viel Zeit, eine chronische Krankheit zu akzeptieren. Schön ist es, wenn man einen Partner hat, der einen in dieser Phase unterstützt. Das Leben ist wie eine Sanduhr…“

Erhält man die Diagnose und die Verordnung einer LOT, so sind die Gedanken meist zunächst völlig fixiert auf das, was man bisher konnte und nun wahrscheinlich nicht mehr kann. Seien es spontane Flugreisen, bestimmte Hobbys oder andere liebgewonnene Aktivitäten.

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass eine Änderung des Blickwinkels verhindern kann, dem Verlust allzu sehr nachzutrauern und es hingegen förderlich ist, mehr Raum für neue Möglichkeiten zu schaffen.

Denn richtet man seinen Fokus vor allem auf vergangene Möglichkeiten, wird man immer wieder an seine Grenzen stoßen. Richtet man seinen Fokus jedoch auf die vielen Möglichkeiten, die trotz einer LOT realisierbar sind, wird man ganz neue und ebenso erfüllende Aktivitäten finden – für die man vielleicht bisher nur noch keine Zeit hatte.

Sei es das Klavierspielen, das man immer schon erlernen wollte, das Kennenlernen der Sehenswürdigkeiten in seiner näheren Umgebung, zu denen man noch nie gekommen ist oder die Zeit, die man nun endlich für seine Enkel zur Verfügung hat. Sie werden merken, das Leben nimmt eine ganz andere Gestalt an, bei der es nicht mehr um Quantität, sondern vor allem um Qualität geht.

Ich selbst habe meinem Enkel zum Geburtstag ganz einfach Zeit geschenkt und konnte seine Freude darüber erleben: „Daheim hat niemand für mich Zeit, aber die Oma, die hat Zeit für mich.“ Zeit, die wir vernüglich mit Tischspielen und mit Erzählen verbringen konnten, Zeit, die andere im hektischen Alltag oft gar nicht mehr erübrigen können.

„Nach drei Monaten konnte ich die Klinik wieder verlassen. In meinem Koffer hatte ich viele gute Vorsätze, mein Leben ab jetzt allein in den Griff zu bekommen.“

Mein Mann, der mich mit der Erkrankung sehr unterstützt, mir Kraft gegeben und immer wieder Mut gemacht hat, verstarb plötzlich. Kurz nachdem unser neues Traumhaus am See fertig wurde.

Eine schwierige Zeit begann, in der ich mir gezielt Unterstützung in einer psychotherapeutischen Klinik suchte. Viel Kraft habe ich auch durch die Selbsthilfegruppe erhalten, der ich zu dieser Zeit bereits mehrere Jahre angehörte, und die für mich wie eine zweite Familie wurde. Gelernt habe ich während dieser Zeit, dass es Situationen gibt, aus denen man ohne fremde Hilfe nicht mehr herauskommt.

War diese Lebensphase auch schwierig, so ermöglichte sie mir doch, neue Lebensziele und Aufgaben zu erkennen. Durch mein Schreiben erlebte ich auf Lesungen oder Buchvorstellungen auf Messen, dass Menschen sich mit ihren eigenen Erfahrungen darin wiederfinden konnten und den Mut schöpften, endlich auch selbst über ihre Sorgen und Probleme zu sprechen. Ich erlebte also, dass ich durch das Schildern meiner Erfahrungen anderen Hilfe geben kann. Ein mich erfüllendes Ziel, dessen Umsetzung ich in der Selbsthilfe und in meinen Büchern realisiere.

Eine weitere Aufgabe steht in Zusammenhang mit dem neuen Haus am See. Groß genug und bereits behinderten gerecht von meinem Mann eingerichtet, entwickelte sich der Gedanke einer Sauerstoff-Wohngemeinschaft. Vor 1,5 Jahren wurde die Idee Realität. Margrit Selle und ich kennen uns von den Gruppenleitertreffen der Deutschen Sauerstoff- und BeatmungsLiga. Jeder hat im Haus sein eigenes Zimmer und – ganz wichtig – sein eigenes Bad. Küche und Wohnzimmer nutzen wir gemeinsam.

Wenn es auch am Anfang etwas gewöhnungsbedürftig war, so haben wir bisher die Entscheidung, eine WG zu gründen, nicht bereut.

Viele praktische Vorteile ergeben sich neben der Gemeinschaft an sich, wie z. B. im Hinblick auf die Sauerstoffbevorratung, den gemeinsamen Notruf, aber auch Nebenkosten, GEZ-Gebühren, Versicherungen und vieles vieles mehr.

Erfahren Sie mehr im:

Annette_Hendl Leben mit Sauerstoff-Langzeittherapie

Patientenratgeber
Leben mit Sauerstoff-Langzeittherapie
Erfahrungen, Infos und Tipps

Verlag Hartmut Becker, Taschenbuch, 100 Seiten, Juli 2018, ISBN 978-3-92980-61-0


Bildnachweis:
A Stockphoto – AdobeStock
Annette Hendl

Text/Interview:
Zitate, Annette Hendl
Text Redaktion, Sabine Habicht, Redaktionsleitung Patienten-Bibliothek


Annette_Hendl Leben mit Sauerstoff-Langzeittherapie

Der Beitrag wurde in der Frühjahrsausgabe 2019 der Patienten-Bibliothek – Atemwege und Lunge veröffentlicht.


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