Lungenalterung

Die drei Kennzeichen der Lungenalterung

Die gute Nachricht vorweg: Die „normalen“ Alterungsvorgänge der Lunge haben keine ernsthaften Auswirkungen für Sie. Die Lunge verfügt über eine große Funktionsreserve, weshalb auch im hohen Alter körperliche Leistung (und sogar Höchstleistung) möglich ist.

Es geht aber auch anders. Denn die Alterungsprozesse der Lunge können durch äußere Faktoren beschleunigt werden. Ein Voraltern der Lunge ist dann tatsächlich ein Problem. Aber das Voraltern der Lunge ist fast immer vermeidbar. Dazu gilt es ein paar Dinge zu beachten. Und vor allem müssen Sie verstehen, wie die Lunge altert.

1. Veränderung der Architektur des Brustkorbs und Kraftminderung des Zwerchfells

Der erste Aspekt der Lungenalterung hat mit dem Organ selbst nur indirekt zu tun. Im Alter verändert sich die Architektur des Brustkorbs. Wirbelkörper, Rippen und Bandscheiben verformen sich, die Brustwirbelsäule neigt sich nach vorne, manchmal so stark, dass ein „Buckel“ entsteht. Jede Neigung der Brustwirbelsäule beeinträchtigt die Ausdehnung und Elastizität der Lunge. Die Abstände zwischen den einzelnen Rippen verkleinern sich, und der untere Rippenbogen, an dem das Zwerchfell befestigt ist, rückt näher an die Wirbelsäule heran.

Zwischenrippenmuskeln und Zwerchfell werden so in ihrer Arbeit behindert, das Lungenvolumen nimmt ab. Schlimmer noch: Äußere Lungenbereiche werden nicht mehr gedehnt und ausreichend belüftet. Die bronchiale Reinigung wird gestört, das Risiko von Verschleimung, chronischer Bronchitis und Lungenentzündungen nimmt zu.

Ursache für eine Deformierung des Brustkorbs ist häufig die Osteoporose (Knochenschwund), die zu etwa 80 Prozent Frauen betrifft. Vor allem der fallende Östrogenspiegel in den Wechseljahren, aber auch „Lifestyle“-Faktoren wie Vitamin-D-Mangel, Bewegungsarmut und Rauchen sind Ursache der Osteoporose.

Auch das Zwerchfell selbst, der wichtigste Atemmuskel, altert. Bei über 40-Jährigen nimmt die Kraft der Muskulatur jährlich um etwa 2 Prozent ab. Die Kraftminderung des Zwerchfells verstärkt die reduzierte Belüftung der Lunge im Alter noch weiter. Noch gravierender ist die Auswirkung auf den Hustenreflex, der für die bronchiale Reinigung extrem wichtig ist. Wenn im Alter die Maximalkaft des Zwerchfells schwindet, reduziert sich der Kompressionsdruck vor dem Hustenstoß – der Stoß wird schwächer, im schlimmsten Fall sitzt der Dreck fest. So erklärt sich, warum mit zunehmendem Alter die Anfälligkeit für Lungeninfektionen stark ansteigt. 

Wie merken Sie nun aber, dass Ihr Zwerchfell abbaut? Die Muskelmasse des Zwerchfells kann man nicht messen, sie verhält sich aber genauso wie andere Muskelgruppen Ihres Körpers. Daher erlaubt die Bestimmung der gesamten körperlichen Muskelmasse auch eine Abschätzung der Zwerchfellkraft. Das ist nicht von außen mit bloßem Auge zu erkennen. Ihr Arzt oder ein spezieller Ernährungsberater kann mit einer einfachen Messung feststellen, ob bei Ihnen ein Muskelschwund vorliegt oder nicht. Die gute Nachricht: Wie andere Skelettmuskeln auch kann das Zwerchfell trainiert werden, zum Beispiel durch spezielle Atemtechniken.

2. Abnahme der mukoziliären Reinigungsfunktion

Die Gründlichkeit dieser bronchialen Putzkolonne nimmt mit den Jahren merklich ab. Die Reinigungskraft („Clearance“) unserer Bronchien beträgt bei einer 75-Jährigen nur noch die Hälfte einer 25-Jährigen. Fremdpartikel oder Krankheitserreger werden auf dem Senioren-Highway mit ca. fünf Millimetern pro Minute Reisegeschwindigkeit bewegt, auf der Studentenautobahn dagegen mit mehr als zehn Millimetern pro Minute – Fiat gegen Ferrari. Das liegt vor allem daran, dass die Schlagfrequenz der Flimmerhärchen im Alter deutlich abnimmt.

Ältere Menschen trinken oft auch zu wenig. Daher ist der Bronchialschleim zäher und „klebriger“, auch das behindert eine effektive Reinigung. Diese normalen altersbedingten Veränderungen erhöhen bereits das Risiko für Atemwegsinfektionen.

Auch Schadstoffpartikel können ältere Personen nicht mehr effektiv ausscheiden, daher sind sie durch Luftverschmutzung stärker gefährdet als junge Menschen.

Besonders kritisch wird es, wenn der Reinigungsapparat der Atemwege durch äußere Einflüsse voraltert: durch häufige wiederkehrende Atemwegsinfekte, Luftschadstoffe und Rauchen. Heilt ein Atemwegsinfekt nicht vollständig ab, wird die äußere Zellschicht der Flimmerhärchen nicht ausreichend repariert. Die bronchialen Drüsen sondern zum Ausgleich mehr Schleim ab, die Beschwerden mit Husten und Auswurf können sich über Wochen hinziehen. Manchmal entsteht daraus eine „chronische Bronchitis“.

Hier kommen Luftschadstoffe wie Zigarettenrauch oder Feinstaub ins Spiel, da sie durch Schädigung der Epithelbarriere die Infektneigung erhöhen und zugleich die Ausheilung dieser Infekte behindern. Das Rauchen bereits einer einzigen Zigarette reduziert die Reinigungskraft der Flimmerhärchen über mehrere Tage. Regelmäßige Raucher haben weniger Flimmerhärchen und die verbleibenden sind funktionell gestört. Auch Passivrauch und Feinstaub lassen Flimmerhärchen voraltern – schon im Kindesalter. Beide Faktoren verhindern so bei Kindern die Ausheilung von Infekten – Startpunkt einer langen leidvollen Lungenkarriere.

Auch Formaldehyd und berufliche Schadstoffe wie Haarspray bei Friseuren oder Holzstäbe bei Schreinern leisten einen ungewollten Beitrag. Daher ist die Vermeidung von Luftschadstoffen die wichtigste Strategie zum Erhalt der bronchialen Reinigungsfunktion.

3. Reduzierung des Lungenvolumens

„Früher war alles besser.“ Haben Sie diesen Satz schon mal gesagt? Bei der Lunge trifft der Satz allerdings sogar zu. Zumindest, wenn Sie älter als 21 Jahre alt sind. Dann dürfen Sie laut und unwidersprochen sagen: „Früher war alles besser!“ Jeden Tag. Für den Rest Ihres Lebens.

Die Lunge beziehungsweise Ihr beatembares Lungenvolumen wächst ab der Geburt bis zum 22. Lebensjahr. Dann vollzieht sich auf dieser Wachstumskurve eine Wende, von der ab alles nur noch schlechter wird. Das Lungenvolumen schrumpft. Es geht bergab, buchstäblich. Allerdings vollzieht sich dieser Abstieg mit der Geschwindigkeit einer gemütlichen Kutschfahrt durch die schöne hessische Wetterau: Die jährliche Volumenabnahme beträgt lediglich 10-15 ml. Wenn Sie an Ihrem 22. Geburtstag also über vier Liter Lungenvolumen verfügen, bleiben Ihnen mit 72 immer noch 3,5 Liter. Und selbst wenn Sie über 100 Jahre alt werden, stünden mit knapp 3 Litern immer noch ausreichend Reserven zur Verfügung. Gegenüber anderen Organfunktionen im hohen Alter ist das geradezu verschwenderisch.

Warum schrumpft Ihr Lungenvolumen überhaupt? Aus demselben Grund, aus dem Sie Falten bekommen. Das Bindegewebe der Lunge leiert aus und verliert an Elastizität. Es hängt also im Alter nicht nur der Hintern in der Hose, sondern, bildlich gesprochen, auch die Lunge im (Brust-)Körbchen. Wie schlaff die Lunge ist, kann man bei Rauchern sogar am Gesicht ablesen. Britische Forscher haben herausgefunden, dass die Faltentiefe im Gesichtsbereich den Elastizitätsverlust des Lungengewebes widerspiegelt.

Wie das? Wegen der Telomere (Ende bzw. Endabschnitt eines Chromosoms, das scheinbar eine wichtige Bedeutung bei der Alterung spielt). Die verkürzen sich durch das Rauchen in Hautzellen genauso schnell wie in den Stützzellen der Lunge. Viel schneller als bei Nichtrauchern. Wenn die Lunge nicht altert, sondern voraltert, wird aus der gemütlichen Kutschfahrt ein Ritt im Galopp. Mindestens.

Das Abschmelzen der Telomer-Polkappen wird durch Luftschadstoffe massiv beschleunigt. Nichts befeuert den zellulären Klimawandel so stark wie das Rauchen. Die Telomere eines 50-jährigen Rauchers, der 30 Jahre lang jeweils ein Päckchen pro Tag geraucht hat, altern um 30 Prozent schneller als die eines Nichtrauchers. Seine Lunge ist also auf 60 Jahre vorgealtert. Die in Rauch und Abgasen enthaltenen Radikale lösen zudem eine bronchiale Entzündung aus, die wiederum die Alterungsprozesse beschleunigt (das sogenannte „Entzündungsaltern“).

Gemeinsam können diese Vorgänge die Schrumpfung des Lungenvolumens von jährlich 10-15 ml auf 40, 50, in Einzelfällen sogar 100 ml und mehr beschleunigen. Falls das in Ihren Ohren immer noch nach wenig klingt, summieren Sie es auf! Nach 20 oder 30 Jahren bleibt dann nicht mehr viel Luft zum Atmen. Die Lebensqualität ist dahin, stattdessen drohen Behinderung oder Tod. Kann man diesen freien Fall aufhalten? Man kann. Der Fallschirm heißt „Aufhören“. Mit dem Rauchen. Dann verlangsamt sich die Schrumpfung wieder, und Sie gewinnen wertvolle Zeit.

Aber das Rauchen ist nicht der einzige Faktor, der den Abstieg beschleunigt. Häufige Infekte der Atemwege und Feinstaub sind vor allem bei Nichtrauchern die größte Gefahr.

Besonders gefährdet sind auch diejenigen, die ihr maximales Lungenvolumen bis zum 22. Geburtstag nicht erreichen: beeinträchtige Kinder. Die Weichen für ein gesundes Lungenwachstum werden bereits im Mutterleib gestellt. In der Schwangerschaft sind aufseiten der Mutter Mangelzustände an den Vitaminen A, D und E, Rauchen und Schadstoffbelastung Risikofaktoren für ein gebremstes Lungenwachstum. Bei anderen Kindern ist die Phase der Ausreifung der Atemwege und Lungenbläschen bis zum 10. Lebensjahr gestört worden, durch Infekte und Atemwegserkrankungen wie Asthma.

Die Folgen einer kleinwüchsigen Lunge können beträchtlich sein und wirken lebenslang nach. Ein Kind, dass „ausgewachsen“ zum Beispiel weniger als 80 Prozent seines eigentlichen maximalen Lungenvolumens erreicht, kommt im Alter unter Umständen selbst bei normaler Schrumpfung an eine kritische Volumengrenze, die im Alltag zu Beschwerden führt. Besonders dann, wenn diese kleinwüchsigen Lungen auch noch mit verpesteter Luft getriezt werden.

Lungenalterung ist – zumindest bis heute – Schicksal. Lungenvoralterung nicht!

Auszug des Buches „Die atemberaubende Welt der Lunge“


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Dr. Kai-Michael Beeh
Internist, Pneumologe, Wiesbaden


Viele weitere wertvolle Informationen und vor allem Hintergrundwissen zur Welt der Lunge sowie Hinweise, wie Sie Ihre Lunge jung erhalten können, finden Sie im neu erschienenen Buch von Dr. Kai-Michael Beeh – siehe nebenstehender Kasten.

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Buchtipp: Die atemberaubende Welt der Lunge

Spielen Sie Tennis? Auf der inneren Oberfläche der Lunge wäre ausreichend Platz für ein Match, sie bringt es beinahe auf die Größe eines Tennisplatzes. Der Darm ist im Vergleich dazu bestenfalls ein Squash-Court und die Haut nur ein Badetuch.

Eine gesunde Lunge vollbringt und ermöglicht Spitzenleistungen. Unsere Atemwege bewegen jeden Tag über 10.000 Liter Luft hin und her – den Inhalt von hundert Badewannen. Angetrieben vom ausdauerndsten Muskel unseres Körpers, dem Zwerchfell, wird so unser wichtigster Rohstoff als Lebens- und Energiespender bereitgestellt: Sauerstoff.

Unsere Lunge ist ein komplexes Wunderwerk der Natur und doch zugleich so gefährdet wie kein anderes Organ. Mit jedem Atemzug setzen ihr Mikroben, Allergieauslöser und Luftschadstoffe wie Feinstaub, Ozon oder Zigarettenrauch zu. Weltweit nehmen Lungenerkrankungen zu – ein alarmierender Trend, der auch aus der Unachtsamkeit resultiert, mit der wir unser größtes Organ behandeln. Die Lunge schmerzt nicht.

Eine durchfeierte Nacht drückt auf Kopf und Magen, ein Sonnenbrand begleitet uns über Tage. Der „Brand“ in den Atemwegen des Rauchers bleibt dagegen stumm. Die Lunge leidet still – und schafft es in den meisten Fällen trotzdem auf erstaunliche Weise, lebenslang funktionsfähig zu bleiben. Helfen Sie ihr dabei!

Dieses Buch ist eine Liebeserklärung an eines der faszinierendsten Wunder der Natur, eine Hommage an ein unterschätztes Mitglied in der Wohngemeinschaft des menschlichen Körpers.

PD Dr. Kai-Michael Beeh, Internist und Pneumologe in Wiesbaden,  führt auf einer hochinformativen und unterhaltsamen Reise durch die menschlichen Atemwege in die Lunge und vermittelt alles Wissenswerte über dieses bedeutende Organ und seine Pflege. Im Jahr 2004 gründete er das insaf, Institut für Atemwegsforschung, in Wiesbaden.

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Heyne Verlag, ISBN: 978-3-453-20707-3, Taschenbuch, 288 Seiten, 10/2018


Bildnachweis:
aletia2011 – Fotolia.com
PD Dr. Kai-Michael Beeh
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Heyne Verlag

Text:
PD Dr. Kai-Michael Beeh


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Dieser Beitrag wurde in der Frühjahrsausgabe 2019 der Patienten-Bibliothek – Atemwege und Lunge veröffentlicht.

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