Tabuthemen

Schweigen überwinden

Rückzug
Wer mit der Diagnose Lungenkrebs in eine Selbsthilfegruppe kommt, hat das vielleicht größte der Krebs-Tabus bereits überwunden: das Schweigen. Fast allen Patienten geht es so, dass mit dem Begreifen ihrer Diagnose unbewusst Abwehrmechanismen entstehen. Die Diagnose wird angezweifelt, verleugnet, oder jeder Gedanke daran wird verdrängt.

Wem es gelingt, den Impuls nach Rückzug zu überwinden und aktiv mit seiner Erkrankung umzugehen, wird in der Regel seine Lebensqualität verbessern. Dazu gehören: die Suche nach seriösen Informationen, nach sozialer Unterstützung und vor allem das Gespräch mit Betroffenen, mit dem Partner, der Familie oder anderen Vertrauten.

Gelegentlich sind es Frauen, die in unsere Selbsthilfegruppe kommen und um Rat fragen, wie sie ihren an Lungenkrebs erkrankten Mann oder Partner zum Reden bewegen können. Manchmal erfahren wir, dass ein Patient verstorben ist, ohne dass er auf dem Weg durch die Erkrankung mit seiner Frau und seinen Kindern über seine Krankheit und sein Befinden sprechen konnte. Besonders für die Kinder kann das eine langwährende seelische Belastung sein.

Nun ist es nicht jedem gegeben, über eine Erkrankung wie Lungenkrebs offen zu kommunizieren. Für den einen wäre dies ein Zeichen der Schwäche, für den anderen ist es die Sorge, Familie und Freunde könnten die Belastung nicht ertragen und würden sich vielleicht sogar von ihm abwenden.

Wer es trotzdem in eine Selbsthilfegruppe schafft – durch Überwindung seiner Vorbehalte oder im Schlepptau seines/seiner Partners/in – wird zunächst zuhören und, wenn er wiederkommt, vielleicht Fragen stellen und dann nach und nach mehr von seinen Gefühlen und Gedanken preisgeben.

Keine Schuldfrage
Ein anderes Thema in der Selbsthilfe Lungenkrebs ist: Schuld. Wer als Betroffener geraucht hat, macht sich deshalb vielleicht Vorwürfe. Schwerer erträglich ist die Haltung anderer, die dem Erkrankten zu verstehen geben, er sei für sein Schicksal selbst verantwortlich und wäre nicht krank geworden, wenn er nicht geraucht hätte.

Die Teilnehmer unserer Gruppe, die nie geraucht und dennoch Lungenkrebs haben, können darüber nur den Kopf schütteln. Wie dem auch sei, wer den harten Weg durch die Behandlung geht, für den sind Vorwürfe unnötiger seelischer Ballast. Der Patient braucht alle Kraft, um wieder auf die Beine zu kommen. Das schließt nicht aus, dass wir uns in der Selbsthilfe Lungenkrebs für eine rauchfreie Welt einsetzen.

Alternativen? …nur mit dem Arzt
Ein weiteres Tabuthema sind sogenannte alternative Krebstherapien. Wenn jemand Interesse an Behandlungsmethoden außerhalb der Schulmedizin äußert, verweisen wir in der Selbsthilfegruppe auf unsere Erfahrungen. Wir können von Fällen berichten, in denen die „Alternativmedizin“ zu unnötigem Leid und im Einzelfall zum Tod geführt hat, von tausenden vergeudeten Euros ganz zu schweigen. Wir raten den Betroffenen, das Thema unbedingt bei ihren behandelnden Ärzten anzusprechen.

Vertrauen und Information
Über das Tabuthema Sexualität und Krebs wird in der Selbsthilfe Lungenkrebs kaum gesprochen. Häufiger wird die Frage nach einer „Krebsdiät“ gestellt. Gibt es Diäten, durch die der Lungenkrebs wenn nicht geheilt, so doch zurückgedrängt werden kann? Unsere Antwort ist nein. Wir raten hier, zu essen, was schmeckt und auf eine ausgewogene Ernährung zu achten. Wichtig ist, dass der Betroffene nicht an Gewicht verliert. Gegebenenfalls sollte man in Absprache mit dem Arzt zu kalorienreicher Aufbaukost (z. B. „Astronautennahrung“) greifen, die auch auf Rezept erhältlich ist.

Eine andere Frage ist die nach der besten Klinik. In der Selbsthilfe sehen wir, dass für Patienten das Gefühl des Vertrauens in Ärzte und Pflegepersonal oft wichtiger ist als der Ruf des Krankenhauses. Vertrauen bildet sich neben einer umfassenden Information durch Einfühlungsvermögen und das flexible Eingehen auf die subjektiven Ansichten, Ängste und Abwehrmechanismen des Patienten. Allgemein raten wir dazu, die Behandlung in einem zertifizierten Lungenkrebszentrum durchführen zu lassen.

Außerhalb der Selbsthilfegruppe trifft man auf weitere Mythen, deren Anhänger oft für alle Gegenargumente taub sind. Der eine ist überzeugt, dass das Allheilmittel gegen Krebs längst entdeckt wurde, von finsteren Mächten jedoch geheim gehalten wird. Oder: Krebs ist ansteckend; Krebs entsteht durch ungesunde Lebensweise oder Stress; Krebs ist eine Strafe für meine Verfehlungen; Helmut Schmidt ist als starker Raucher 97 Jahre alt geworden, deshalb wird auch mir nichts passieren, wenn ich weiter rauche.

Was kann man diesen Überzeugungen entgegen halten? Wir haben keine andere Wahl, als auf das zu vertrauen, was als aktueller Stand der Wissenschaft in Leitlinien empfohlen wird. Leitlinien fördern Qualität, Transparenz und den Transfer von der Wissenschaft in die breite medizinische Versorgung. Nur dies sind geprüfte und unabhängig überprüfbare Fakten.

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Niemand ist mit seiner Krankheit allein
Zusammenfassend kann man sagen: die Selbsthilfe fördert das Verständnis für die eigene Situation, informiert über Behandlungsmethoden und Nebenwirkungen und räumt auf mit Vorurteilen. Das Gespräch mit „Gleichgesinnten“ bestärkt darin, dass man mit seiner Krankheit nicht allein ist.

Wer mit anderen herzhaft lachen kann, ist auf einem guten Weg.


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Günther Kranz
Öffentlichkeitsarbeit
Bundesverband Selbsthilfe Lungenkrebs e.V.
www.bundesverband-selbsthilfe-lungenkrebs.de

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Fotos: Fotolia aletia 2011

Veröffentlicht in der Winterausgabe 2019 der Zeitschrift „Patienten-Bibliothek – Atemwege und Lunge www.Patienten-Bibliothek.de

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