Patienten kennen nicht nur technische Probleme

Das Leben mit LTOT (Sauerstoff) und NIV (nicht-invasive Maskenbeatmung)

Dieser Artikel setzt einiges voraus: Erstens eine Vorstellung davon, was sich hinter den Abkürzungen LTOT und NIV überhaupt verbirgt. Daneben die Bereitschaft, sich mit den Auswirkungen von LTOT und NIV auf die Psyche auseinanderzusetzen. Denn im klinischen Alltag zeigt sich deutlich: LTOT und NIV sind für viele Patienten ein Segen – aber das Leben mit LTOT und NIV hält nicht nur technische Fallstricke bereit.

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LTOT (englisch: long-term oxygen therapy = Langzeit-Sauerstofftherapie)

„Sauerstoff ist Leben!“ Dieser Slogan klingt so vernünftig, dass wahrscheinlich die meisten Menschen positive Bilder damit verbinden: Frische, Vitalität, je nach Temperament würzige Waldluft oder kühle Meeresbrise, durchatmen, freies Leben…

Wie kommt es dann, dass sich bei Patienten mit LTOT mitunter ganz andere Erfahrungen beim Gedanken an „Sauerstoff“ einstellen?

Worüber LTOT-Patienten klagen

Patienten mit chronischen Lungenerkrankungen profitieren bei sorgfältiger Beachtung der Indikation in aller Regel von einer LTOT (dauerhafte Sauerstoffgabe von mindestens 16 Stunden am Tag). Obwohl Studien einen positiven Einfluss der LTOT auf die körperliche Leistungsfähigkeit nachweisen, hat die Therapietreue (= Adhärenz) „noch viel Luft nach oben“.

Fragt man Patienten nach ihren Gründen für fehlende Akzeptanz und Adhärenz, hört man Antworten wie diese:

  • „Ich fühle mich mit dem Ding so unsicher und gebrechlich.“
  • „Das unhandliche Gerät macht jede Aktion zu einem logistischen Mammutunternehmen.“
  • „Ich will nicht abhängig werden von Sauerstoff.“
  • „Was sollen die Leute denken?!?“
  • „Der Schlauch und die Flasche erinnern mich ständig daran, dass ich sehr krank bin.“

Diese Aussagen verdeutlichen anschaulich, was Studien belegen: LTOT verändert das psychische Befinden nicht unbedingt zum Besseren. Angst und Depression bleiben unverändert oder neigen sogar zur Verschlimmerung.

Diese Reaktionen lassen sich möglicherweise nicht nur auf die LTOT zurückführen – schließlich befinden sich die meisten Patienten mit LTOT in einem fortgeschrittenen Krankheitsstadium. Die Ergebnisse hängen jedoch mit bestimmten Einstellungen der Patienten zur LTOT zusammen. Studiendaten weisen darauf hin, dass hierbei das Schamerleben eine zentrale Rolle spielt. Hier helfen Information und eine Stärkung des Selbstwertgefühls.

Die Bedeutung von Angehörigen für die LTOT-Akzeptanz

Eine Therapieform wie die LTOT verlangt auch von den Angehörigen eine „Reise zur Akzeptanz“. Bevor die LTOT als „Familienmitglied“ oder als „Haustier“ angenommen wird, durchlaufen die Betroffenen häufig die Erfahrungen von Schock, Angst, Verleugnung, Ablehnung, bis sie allmählich die Unausweichlichkeit erkennen und schließlich im günstigsten Fall Annäherung und Normalisierung gelingen.

Dabei haben Familien mit den folgenden Eigenschaften offensichtlich einen Vorteil:

  • problemorientierter Umgang mit Belastungen (= Coping)
  • angemessene gemeinsame Stressbewältigung (= dyadisches Coping)
  • gegenseitiger Respekt
  • Flexibilität
  • gesunde Abgrenzung
Warum ist das dyadische Coping bei LTOT so bedeutsam?

Jede chronische Erkrankung fordert eine Partnerschaft oder Familie heraus. In besonderem Maße gilt das bei einschneidenden Therapieformen wie etwa der LTOT. Dann wächst nämlich in der Regel das Konfliktpotenzial, z. B. durch unterschiedliche Vorstellungen von Patienten und Angehörigen bezüglich Therapietreue und Alltagsgestaltung.

Ärger und Frustration bei den Betreuern führt zu Angst, Schuldgefühlen, Verleugnung und Rückzug bei den Patienten. Rasch droht ein Teufelskreis. Hier kann ein angemessenes dyadisches Coping vorbeugen oder Verschlimmerung verhüten.

Fazit:

  • LTOT ist eine Herausforderung für Patienten, Betreuer und Behandler.
  • LTOT bedeutet „Chance“ und „Gefahr“.
  • Wichtig ist die offene Kommunikation zwischen allen Beteiligten.
  • Behandler sollten beachten, dass Patienten und Angehörige angemessene Unterstützung benötigen, um das „Unternehmen LTOT“ zu einem dauerhaften Erfolgsmodell zu machen.
  • Patienten und Angehörige sollten wissen, wo und wie sie konkrete Unterstützung bei LTOT finden (z. B. in einer regionalen SHG der Sauerstoff-Liga).
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NIV (englisch: non-invasive ventilation = nicht-invasive Beatmung)

Die mechanische Beatmung über eine Maske (Nasen-Maske oder Mund-Nasen-Maske) ist eine anspruchsvolle Behandlung. Sie erfordert nicht nur Sachverstand und praktische Fertigkeiten, sondern ebenso enorme emotionale Anpassungsleistungen.

Die Anforderungen unterscheiden sich, je nachdem, wann und zu welchem Zweck die NIV eingesetzt wird. Die „Schlüsselthemen“ bei den Patientenerfahrungen gleichen sich jedoch und kreisen im Wesentlichen um „Angst und Panik“:

  • Angst vor Maske und Technik
  • Angst vor Enge, Ersticken, Sterben und Tod
  • Angst vor Verlust von Kontrolle, Unabhängigkeit, Würde, Lebensqualität
Was NIV-Patienten berichten

Patienten mit chronischen Lungenerkrankungen machen ihre ersten Erfahrungen mit einer NIV häufig in einer Notfallsituation, z. B. bei einem akuten Versagen der Atempumpe im Rahmen einer schweren Exazerbation. Entsprechend dramatisch klingen dann die Patientenaussagen:

  • „Es war schrecklich: nur Atemnot, Angst, Beklemmung – sonst nichts.“
  • „Es ist wie das Gefühl, in einer Falle zu sitzen.“
  • „Du hast nur eine Chance mit der Maske. Punkt. Ende der Geschichte.“ 

Typische Phasen der NIV-Anpassung führen dann über Panik, Angst, Kampf mit der Maske, Unbehagen – je nachdem – entweder zu Toleranz oder endgültiger Ablehnung.

Ein ähnlicher Verlauf zeigt sich auch bei Patienten, die eine NIV-Verordnung wegen eines chronischen Versagens der Atempumpe erhalten: etwas weniger dramatisch vielleicht – oft jedoch ebenfalls im ständigen Auf und Ab.

Die Bedeutung der Behandler für die NIV-Akzeptanz

Was die Angehörigen für die LTOT-Akzeptanz, das leisten die medizinischen Fachkräfte für die NIV-Akzeptanz. Entscheidend für die Angstbewältigung und die Annäherung an die Maske sind laut Studien:

  • ausreichende, verständliche Informationen
  • Anwesenheit, Verlässlichkeit und Zuwendung der medizinischen Fachkräfte (NIV-Team aus Beatmungsmedizinern, NIV-erfahrenen Pflegern, Atmungstherapeuten, Physiotherapeuten)
  • angemessene psychopneumologische Begleitung (z. B. angstlösenden Angebote wie Hypnotherapie, achtsamkeitsbasierte Verfahren, medikamentöse Angstlösung)

Wegen der großen Bedeutung der nicht-medikamentösen Unterstützung werden derzeit einige vielversprechende Ansätze zur Steigerung der NIV-Toleranz untersucht:

  • Effekt von Musiktherapie
  • Effekt einer psychologischen Kurzintervention (Kombination aus Psycho-Edukation, Verhaltenstherapie und Entspannungstraining)
Die Bedeutung von Angehörigen für die NIV-Akzeptanz

Die Behandler spielen zwar die Hauptrolle bei der NIV-Akzeptanz – jedoch kommen auch die Angehörigen zu ihren Einsätzen. Eine große französische Studie (PARVENIR-Studie) zeigt nämlich, dass sowohl Patienten wie Angehörige starke Angst während der NIV erfahren.

Diese Angst hängt von allgemeinen und individuellen Faktoren ab, die sich nur teilweise beeinflussen lassen. Eine Rolle spielen beispielsweise:

  • die Länge der NIV-Phasen (lange Phasen angstverstärkend)
  • das Setting (Intensivstation angstverstärkender als Normalstation)

Die Studie liefert zudem ein erstaunliches Ergebnis zur Beurteilung der NIV: Sowohl die Notwendigkeit wie auch die Auswirkungen dieser Therapieform werden von Patienten, Angehörigen, Intensivpflegekräften und Beatmungsmedizinern extrem unterschiedlich beurteilt. Diese Unterschiede sollten beim Training des NIV-Teams und bei der Kommunikation mit Patienten und Angehörigen unbedingt berücksichtigt werden.

Fazit:

  • NIV ist eine Herausforderung für Patienten, Angehörige und Behandler.
  • Wesentlich ist das Vertrauensverhältnis zwischen Patienten, Angehörigen und NIV-Team.
  • Das NIV-Team benötigt eine ständige Schulung gemäß dem Stand der Wissenschaft, um Patienten und Angehörige bei der NIV angemessen unterstützen zu können.
  • Neben technischem Know-how und fachlichen Kenntnissen sind Einfühlungsvermögen und emotionale Fähigkeiten unverzichtbar.
  • Patienten und Angehörige sollten Methoden für den Umgang mit Stresssituationen und Ängsten erlernen.
„Grau, grau ist alle Theorie…“

Soweit also die psychopneumologischen Hintergründe zu LTOT und NIV. Doch, wie bitte kann man mit diesen Erkenntnissen den Alltag mit Sauerstoffgerät und Beatmungsmaske meistern?

Ein paar Hinweise aus der psychopneumologischen Schatzkiste zum Umgang mit LTOT und NIV gibt es in der umfangreichen Infobox. Wer danach noch Lust auf „Mehr“ hat, kann den Lektüreempfehlungen online und offline folgen…

Mit herzlichen Grüßen und guten Wünschen an alle mutigen LTOT- und NIV-Patienten

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Ihre
Monika Tempel
Ärztin, Autorin, Referentin, Regensburg
www.monikatempel.de und www.atemnot-info.de


Infobox

LTOT: Selbstbewusst mit Sauerstoff

Die modernen LTOT-Geräte ermöglichen Mobilität und Aktivität. Nutze diese Chance zum Training Deines Selbstwertgefühls (in Anlehnung an M. Lammers und I. Ohls).

  • Geh raus – mit einem Lächeln!

Das Lächeln kannst Du zuhause vor dem Spiegel üben. Egal, wie es Dir gerade geht: Lächle Dich etwa 30 Sekunden (oder länger) im Spiegel an und nimm dabei wahr, ob und wie sich Dein emotionales Befinden ändert.

Das Prinzip dahinter: Du kannst selbst Emotionen bei Dir auslösen, wenn Du eine veränderte Mimik einsetzt.

Und das Prinzip auf der Straße: Ein Lächeln lädt andere ein, dies spontan zu erwidern.

  • Menschen lieben es zu helfen – wenn Du sie lässt!

Grundsätzlich kümmern sich Menschen um andere, wenn sie es können.

Gelegentlich um Hilfe zu bitten, eröffnet Dir wahrscheinlich den Weg zu überraschenden Erfahrungen.

Achte aber darauf, im Kontakt mit anderen Menschen auch über die angenehmen Dinge im Leben zu sprechen.

  • Humor ist ein Weg zum Herzen – meistens!

Fast alle Menschen sind im Alltag offen dafür, auf humorvolle Weise angesprochen zu werden.

Finde also immer wieder einen Grund, um herzlich miteinander zu lachen.

  • Such keine Lösung für Probleme, die nicht Deine Probleme sind!

Gelegentlich macht Dich das Verhalten von anderen Menschen vielleicht betroffen. Sie äußern versehentlich eine ungeschickte Bemerkung oder verletzen Dich mehr oder weniger bewusst. Damit erweisen sie sich als Grenzverletzer.

Ihr Problem – nicht Deines!

Du ziehst eine Grenze – das Problem liegt auf der anderen Seite.

  • Akzeptiere die anderen – und Dich selbst!

Einen guten Umgang mit sich selbst kann man einüben, z. B. anhand folgender Fragen:

  • Fünf Dinge, die mir an mir selbst gefallen
  • Fünf Erfahrungen, die mich in dieser Einschätzung bestärken
  • Wem und wie kann ich das Liebenswerte meiner Person konkret am besten mitteilen?
  • In welcher schwierigen Situation habe ich mich zuletzt erfolgreich selbstbewusst verhalten?

NIV: Ruhe finden mit der Maske

Die NIV-Akzeptanz lässt sich für Patienten nur im konkreten Tun einüben. An dieser Stelle können also nur ein paar Hinweise erfolgen, wie Bereitschaft (ein anderes Wort für Akzeptanz) grundsätzlich aussehen könnte.

Folgende Bilder sind möglicherweise hilfreich:

  • Die Maske achten, wie man einen Freund achten würde, dem man auch bei unangenehmen Wahrheiten zuhört.
  • Den Krieg mit der Maske verlassen, wie ein Soldat, der seine Waffen niederlegt und nach Hause geht.
  • Auf die Maske schauen, wie auf ein unbekanntes Bild und nur wahrnehmen, was es auf diesem Bild zu entdecken gibt.

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Patientenerfahrungen

Annette Hendl: Leben mit Sauerstoff-Langzeittherapie. Erfahrungen, Infos und Tipps. Verlag Hartmut Becker, 2018

Web-Links

www.monikatempel.de/lexikon-der-psychopneumologie-1-wie-langzeit-sauerstofftherapie/

www.patienten-bibliothek.de/lexikon-der-psychopneumologie-1-wie-langzeit-sauerstofftherapie/

www.sauerstoffliga.de

Tipp von Ursula Krütt-Bockemühl

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Keine Angst vor der Therapie oder dem Therapieequipment, lernen Sie es kennen.

Wenden Sie sich bei Fragen an die Deutsche Sauerstoff- und BeatmungsLiga LOT e.V. – www.sauerstoffliga.de, nutzen Sie das dortige Beratungstelefon.

Fragen Sie auch in Ihrer Lungenfacharztpraxis nach einer O2-Assistentin/einem O2-Assistenten.


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Der Beitrag wurde in der Herbstausgabe 2020 der Patienten-Bibliothek – Atemwege und Lunge veröffentlicht.


Text:
Monika Tempel

Bildnachweis:
Monika Tempel, Regensburg
Susi Donner, Lindau
Phattmann – Fotolia.com
ResMed


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