Langzeit-Sauerstofftherapie

Aktualisierte Leitlinie veröffentlicht

Ende Juli 2020 wurde die neue Leitlinie zur Langzeit-Sauerstofftherapie (LTOT) veröffentlicht. Es handelt sich dabei um eine Revision der im Jahr 2008 publizierten Leitlinie. Aufgrund der wachsenden Bedeutung der Langzeit-Sauerstofftherapie wurde auf Initiative der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin in Zusammenarbeit mit anderen Fachgesellschaften die überarbeitete Version erstellt.

Durch die Einbindung von Experten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz wurde die Leitlinie zum ersten Mal für alle drei Länder des deutschsprachigen Raumes erarbeitet.

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Die Redaktion sprach mit dem Leitlinienkoordinator Dr. Peter Haidl, Chefarzt Pneumologie II, Ärztlicher Direktor des Fachkrankenhauses Kloster Grafschaft in Schmallenberg, Akademisches Lehrkrankenhaus der Philipps Universität Marburg über Besonderheiten und Neuerungen der Leitlinie.

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Welches Sauerstoffsystem und -gerät das Richtige ist, muss für jeden Patienten individuell in Anpassung seiner Bedürfnisse beim Lungenfacharzt getestet werden.

Bisher wurde eine Empfehlung zur Anwendungsdauer der LTOT für mindestens 16 Stunden ausgesprochen. Was sind die Hintergründe der veränderten Mindestdauer?

Die Reduktion von 16 auf mindestens 15 Stunden täglich bedeutet lediglich eine Anpassung an die Empfehlung der britischen Leitlinie; sie basiert nicht auf neuen Studienerkenntnissen.

Anhand der beiden Studien, die auch bereits in der vergangenen Leitlinie die Grundlage für die Empfehlung gebildet haben, wurden Patientendaten unterschiedlicher Anwendungsdauer miteinander verglichen und daraus eine entsprechende Mindestdauer abgeleitet.

Autoren der britischen Leitlinie haben diesen Wert der Anwendungsdauer nun lediglich

nochmals präzisiert. Im Sinne einer länderübergreifenden Vereinheitlichung hat die deutschsprachige Leitlinie dieser Empfehlung entsprochen.  

Die LTOT hat einen hohen Stellenwert zur Verminderung der Sterblichkeitsrate. Was sollten Patienten hierzu wissen?

Die entscheidende Botschaft, die wir Patienten in Verbindung mit der Anwendungsdauer vermitteln möchten, lautet: Eine kurzzeitige Sauerstoffgabe, wie beispielsweise 2 x 1 Stunde täglich, kann möglicherweise eine gewisse Symptomatik lindern, hat jedoch nachweislich keinen positiven Effekt auf die Sterblichkeit.

Salopp ausgedrückt: „ab und zu mal an Sauerstoff schnuppern, wenn man in Ruhe auf dem Sofa sitzt“ oder „ein bisschen Sauerstoff zuführen, wenn man das Gefühl hat, es zu brauchen“ reicht definitiv nicht aus.

Um den Effekt einer Lebenszeitverlängerung durch eine Langzeit-Sauerstofftherapie zu erzielen, ist eine Anwendungsdauer von mindestens 15 Stunden täglich unbedingt erforderlich.

Welches Verständnis sollten Patienten entwickeln, um die LTOT als konsequente Therapieform leichter zu akzeptieren?

Der Vergleich mit einem Akku mag hier eine hilfreiche Erklärung sein, die ich gerne auch in Gesprächen mit meinen Patienten einsetze:

Betrachten Sie die Anwendungsdauer Ihrer Langzeit-Sauerstofftherapie wie das notwendige Laden einer Batterie. Der Akku der Atemmuskulatur benötigt nun einmal eine Mindestdauer seiner Ladezeit von 15 Stunden.

Doch es gibt weitere Aspekte, die Patienten wissen und berücksichtigen sollten.

Patienten gehen oftmals davon aus, dass das Symptom der Luftnot durch Gabe einer Sauerstofftherapie vollständig beseitigt werden kann. Dies ist jedoch nicht der Fall.

COPD-Patienten entwickeln beispielsweise ihre Luftnot meistens aufgrund einer sog. dynamischen Überblähung eines Lungenemphysems und nicht aufgrund eines Sauerstoffmangels unter Belastung.

Um festzustellen, ob eventuell dennoch ein Sauerstoffmangel unter Belastung vorliegt, sind entsprechende umfängliche fachärztliche Testungen erforderlich.

Der Nutzen einer LTOT ist nachweislich erst dann gegeben, wenn bestimmte Voraussetzungen vorliegen. Was sollten Patienten hierzu wissen?

Grundvoraussetzung für die Verordnung einer Langzeit-Sauerstofftherapie ist eine fachärztliche Untersuchung, die in einer stabilen Erkrankungsphase erfolgen muss.

In dieser stabilen Phase sind zwei *Blutgasanalysen (siehe Informationen im Kasten) in einem Intervall von mindestens drei Wochen erforderlich.

Für die Verordnung einer LTOT ist eine umfassende pneumologische Untersuchung notwendig, die nur von einem Lungenfacharzt vorgenommen werden kann, denn nur so kann eine Fehlversorgung vermieden werden.

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Eine Messung per Pulsoximeter ist kein Ersatz für eine Blutgasanalyse!

In der Realität erfolgt die Verordnung einer LTOT oftmals im Nachgang einer akuten Verschlechterung mit stationärem Aufenthalt noch im Krankenhaus. Was sollten Patienten hierzu wissen?

Das Kapitel „Postakute Sauerstofftherapie“ wurde erstmals als separates Kapitel in die Leitlinie integriert, um klar zwischen den verschiedenen Therapieformen der postakuten und der Langzeit-Sauerstofftherapie zu differenzieren.

Befindet sich ein Patient im Krankenhaus und weist schlechte Sauerstoffwerte auf, so erhält er  selbstverständlich eine Sauerstofftherapie. Dies kann beispielsweise Patienten mit einer vorliegenden COPD betreffen, die aufgrund einer akuten Verschlechterung (Exazerbation) einen stationären Aufenthalt benötigen.

Haben sich die Sauerstoffwerte vor der Entlassung aus dem Krankenhaus noch nicht ausreichend normalisiert, kann zusätzlich ein Sauerstoffsystem für die Anwendung zu Hause verordnet werden. Hierbei handelt es sich dann jedoch keineswegs um die klassische Versorgung einer Langzeit-Sauerstofftherapie, sondern vielmehr um eine postakute Versorgung, also nach der Akutphase der Erkrankung.

Die postakute Sauerstofftherapie muss spätestens drei Monate nach dem Krankenhausaufenthalt überprüft werden. Erst dann kann in einem stabilen Intervall entschieden werden, ob die postakute Therapie in eine klassische Langzeit-Sauerstofftherapie mündet oder ob aufgrund der Stabilisierung und Verbesserung der Blutgaswerte eine Sauerstofftherapie nicht mehr erforderlich ist.

Was hat sich in der Leitlinie hinsichtlich der Indikation der LTOT geändert?

Bezüglich der Indikation wurde eine Einteilung in die prognostische, d.h. im Hinblick auf die Verlängerung der Lebenszeit bezogene und symptomatische, d.h. im Hinblick auf die körperliche Belastung bezogene Indikation getroffen, was insbesondere in Zusammenhang mit der mobilen Sauerstoffversorgung steht.

Ein mobiles System kann verordnet werden, um für den Patienten die Mindesttherapiedauer von 15 Stunden zu gewährleisten (prognostische Indikation), d.h. das System wird stets in Ruhe angewandt.

Davon abzugrenzen ist die symptomatische Indikation. Hierbei handelt es sich um die Verordnung eines mobilen Systems, um die körperliche Belastbarkeit zu verbessern und das System z. B. bei einem Spaziergang mitzuführen. Dies bedeutet eine höhere Anforderung an die Qualität und Leistungsfähigkeit des mobilen Gerätes.

Um alle notwendigen Anforderungen, vor allem im Hinblick auf die persönliche Mobilität, zu berücksichtigen und das geeignete Gerät bzw. System für jeden Patienten individuell auszuwählen, ist eine kenntnisreiche lungenfachärztliche Untersuchung erforderlich.   

Bei einer symptomatischen Indikation ist beispielsweise wichtig zu prüfen, ob mit dem Sauerstoffsystem die körperliche Belastbarkeit verbessert und die Symptome reduziert werden können. Ebenso ist eine Testung auf eine Demandfähigkeit, notwendig, d.h. eine Überprüfung, ob eine atemzuggesteuerte Abgabe des Sauerstoffflusses überhaupt möglich ist.

In der Leitlinie wird verstärkt auf die nicht-invasive Beatmung (NIV), insbesondere bei COPD-/Lungenemphysem-Patienten, hingewiesen. Was sollten Patienten hierzu wissen?

Wie bereits formuliert, entwickelt sich bei Patienten mit einem Lungenemphysem aufgrund der Überblähung das Symptom der Atemnot. Atemnot wird fälschlicherweise oft zwangsläufig mit einem Sauerstoffmangel gleichgesetzt.

Ursache der Atemnot können jedoch zwei verschiedene Krankheitsbilder sein, die differenziert betrachtet werden müssen und unterschiedliche therapeutische Interventionen erfordern:

Die hypoxämische Insuffizienz (reduzierter Sauerstoffgehalt im Blut) aufgrund der Beeinträchtigung der Sauerstoffaufnahme durch eine reduzierte Lungenfläche und einer LTOT als therapeutischen Maßnahme.

Die Hyperkapnie (erhöhter Kohlendioxidgehalt im Blut) aufgrund einer Erschöpfung der Atemmuskulatur (insbesondere des Zwerchfells), die eine nicht-invasive Maskenbeatmung (NIV) erfordert.

Hypoxämie und Hyperkapnie können parallel vorliegen, aber ebenso kann auch nur eines der beiden Krankheitsbilder auftreten. Die Bewertung der Langzeit-Sauerstofftherapie im Vergleich zu einer häuslichen Maskenbeatmung ist ein neues Thema innerhalb der Leitlinie. Beide Erkrankungen werden dokumentiert und differenziert, um Fehlversorgungen zu vermeiden.

Die Leitlinie empfiehlt eine strukturierte Patientenschulung zur Langzeit-Sauerstofftherapie. Wie sieht aktuell die Realität aus?

Auch wenn bereits im Fortbildungs-Curriculum der Atmungstherapeuten die Schulung von Patienten mit einer Langzeit-Sauerstofftherapie enthalten ist, so besteht hier aktuell Handlungsbedarf – noch ist eine allgemein gültige strukturierte Patientenschulung nicht vorhanden.

Eine sehr gute Option für eine Sauerstoffschulung bieten jedoch einige spezialisierte Rehabilitationskliniken innerhalb einer pneumologischen Rehamaßnahme oder Anschlussheilbehandlung (AHB) nach einem stationären Krankenhausaufenthalt an.

Nachweislich ist bei einer COPD die pneumologische Rehabilitation ein überaus wichtiger Therapiebaustein innerhalb des Gesamtkonzeptes der Behandlung.

Interessant wäre die Entwicklung von Schulungsvideos zur korrekten Anwendung der Sauerstofftherapie in Analogie zu den Videos der Deutschen Atemwegsliga e.V. der verschiedenen Inhalationssysteme. Momentan ist dies noch „Zukunftsmusik“.

Als ebenfalls neues Thema ist in der Leitlinie die Palliativmedizin aufgeführt. Was beinhaltet diese Rubrik?

Wenn ein Patient innerhalb der Palliativmedizin unter einem Sauerstoffmangel leidet, greifen natürlich auch die Verordnungskriterien der Langzeit-Sauerstofftherapie. Im Vordergrund steht dabei vor allem die Reduktion der Symptomatik.

Hat ein Patient allerdings normale Sauerstoffwerte, kann die Zuführung z. B. eines kühlen Luftstroms bereits zur Linderung des Gefühls Atemnot führen, wie Studien belegen. Die kühle Luft (ggf. einen Ventilator) reizt durch einen Reflex die Gesichtsnerven und senkt die Luftnot.

Ist eine Linderung der Atemnot über diesen Weg nicht möglich, können ggf. Opioide eingesetzt werden.


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Die Leitlinie finden Sie auf www.pneumologie.de.

Ein Beratungstelefon und Hilfe zur Selbsthilfe finden Sie auf www.sauerstoffliga.de.

Ein Informationsblatt zur Verordnung der LTOT finden Sie auf www.atemwegsliga.de.


Text/Interview:
Sabine Habicht, Redaktionsleitung Patienten-Bibliothek

Bildnachweis:
Invacare
Linde Healthcare
Dr. Peter Haidl
Ursula Krütt-Bockemühl


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Dieser Beitrag wurde in der Herbstausgabe 2020 der Patienten-Bibliothek – Atemwege und Lunge veröffentlicht.


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