In Stresssituationen und Krisen
Kennen Sie das Grübelkarussell, wenn die Gedanken sich immerzu im Kreis drehen und kein Ende finden wollen? Besonders in Stresssituationen und Krisen (wie der aktuellen Corona-Pandemie) neigen auch gesunde Menschen dazu, mehr zu grübeln und sich Sorgen zu machen.
Wir Menschen sind in der Lage, emotional belastende Ereignisse der Vergangenheit mental durchzuspielen, um zu verstehen was, schiefgelaufen ist, und aus unseren Fehlern der Vergangenheit zu lernen. Beim Grübeln jedoch läuft dieser Denkprozess ins Leere. Obwohl ein Problem immer wieder mühsam “gewälzt” wird, stellt sich dabei kein Erfolg ein: Wir kommen immer wieder am Anfang an, wir finden weder eine adäquate Lösung, noch gewinnen wir neue Erkenntnisse oder erreichen Erleichterung von den negativen Emotionen, die das Problem in uns hervorruft.
Oft drehen sich Inhalte der Grübelgedanken um Themen wie Konflikte, Arbeitsstress, Verluste (z.B. Liebeskummer) oder um Selbstzweifel. Meistens haben Grübelattacken einen konkreten Auslöser (z.B. eine kritische Bemerkung) und gehen mit negativen Gefühlen wie Schuld, Scham, Verzweiflung, Angst und Ärger einher.
Während Grübeln sich auf das Nachdenken über ein Problem in der Gegenwart oder Vergangenheit bezieht (oft um die Frage “Warum …?”), drehen sich Sorgen in der Regel um potenzielle Gefahren in der Zukunft (“Was wäre, wenn …?”). Dabei entwickelt unsere Fähigkeit, mögliche Probleme in der Zukunft vorherzusehen, um ihnen entgegenzuwirken, ein nahezu übermächtiges Eigenleben. Oft geraten wir dann in eine regelrechte Sorgenspirale, in der sich angstverstärkende Katastrophengedanken gegenseitig hochschaukeln.
Sowohl ständiges Grübeln, als auch übermäßiges Sorgen, wirken auf Dauer negativ auf Psyche und Körper. Sie rauben uns nachts oft den Schlaf und tagsüber unser Wohlbefinden, verstärken unsere negativen Gefühle, belasten unsere zwischenmenschlichen Beziehungen, reduzieren die Konzentrations- und Leistungsfähigkeit im Alltag und versetzen unseren Körper in den Dauerstress-Modus. Darüber hinaus erhöhen sie unsere Vulnerabilität gegenüber psychischen Erkrankungen, wie beispielsweise Depressionen und Angststörungen.
Warum können wir unsere Grübelgedanken nicht einfach unterdrücken, indem wir uns selbst das Grübeln verbieten? Versuchen Sie bitte ganz konzentriert nicht an einen rosa Elefanten zu denken. Alles andere dürfen Sie denken, nur bitte keinesfalls an einen rosa Elefanten. Woran haben Sie gerade gedacht?
Durch den Versuch, das Grübeln willentlich mit Gedanken wie “ich darf nicht grübeln” zu unterdrücken, verstärken wir es meistens nur.
Dreht sich Ihr Grübelkarussell gerade?
Handelt es sich bei Ihrem Denken gerade um produktives Nachdenken oder befinden Sie sich mitten im fahrenden Grübelkarussell? Um das für sich herauszufinden, können Sie die 2-Minuten-Regel ausprobieren. Fahren Sie dazu die nächsten zwei Minuten gedanklich mit dem fort, was sie gerade tun. Danach können Sie sich fragen:
- Sind Sie durch Ihr Denken in den letzten 1 Minuten der Lösung des Problems näher gekommen?
- Konnten Sie für sich neue Erkenntnisse über den Sachverhalt gewinnen?
- Hat sich durch das Nachdenken Ihre Stimmung gebessert?
- Haben negative Gefühle nachgelassen?
Ein wesentliches Merkmal des Grübelns ist ja, dass es unproduktiv ist, also zu keiner Lösung des Problems oder Verbesserung des Zustandes führt. Falls Sie keine dieser Fragen bejahen können, deutet das auf einen Grübelprozess hin.
Techniken gegen das Grübeln
Wie können Sie sich selbst helfen, Ihr Grübelkarussell anzuhalten?1 Im Folgenden finden Sie einige Techniken, die gegen Grübeln und Sich-sorgen helfen können.
Die Ablenkungsstrategie
Als Gewohnheit tritt Grübeln oft in ähnlichen Situationen auf, z.B. immer dann, wenn wir uns einsam, sozial abgelehnt oder überfordert fühlen. Beobachten Sie Ihr Grübeln einmal genauer: in welchem Kontext tritt es bei Ihnen immer auf, zu welcher Tageszeit und durch welchen Auslöser (sog. Triggerreiz) angestoßen? Diese Informationen können Ihnen helfen, Ihren Tag so zu planen, dass Sie genau diese Situationen vermeiden, indem Sie in der für Sie typischen Grübelzeit zum Beispiel einer ablenkenden Aktivität nachgehen, vorzugsweise einer, die Sie gerne machen. Eine Studie zeigte beispielsweise, dass ein 90-minütiger Spaziergang in der Natur das Grübeln im Anschluss signifikant reduzierte.
Die Rückkehr zu den Sinnen
Stellen Sie sich Ihre Aufmerksamkeit als einen großen Scheinwerfer vor. Wo immer sein Lichtkegel auftrifft, wird alles hell erleuchtet. Beim Grübeln richtet sich die Aufmerksamkeit nach innen auf unsere Gedanken, Erinnerungen und negativen Gefühle. Üben Sie, Ihre Aufmerksamkeit stattdessen bewusst nach außen zu richten, zum Beispiel auf Ihre Sinne.
Dazu können Sie die 5-4-3-2-1 Übung nutzen
Sehen Sie sich um. Nehmen Sie bewusst 5 Sachen wahr,
5 die Sie sehen (z.B. das Bild an der Wand, die lila Blume auf dem Fensterbrett, das Blau des Himmels),
4 danach nehmen Sie bewusst Geräusche wahr, die Sie gerade hören (z.B. einen Möwenschrei …),
3 dann Dinge die Sie gerade fühlen (z.B. einen Windhauch auf Ihrem Gesicht …),
2 gefolgt von Gerüchen, die sie riechen (z.B. den fischigen Meeresduft …)
1 und Dinge, die Sie schmecken (z.B. Kaffee …).
Achtsamkeitspraktiken
Es gibt verschiedene Achtsamkeitstechniken, die man erlernen kann, um eine neutrale Beobachterposition seinen Gedanken gegenüber einzunehmen und sich von ihnen nicht immer mitreißen zu lassen. Stellen Sie sich zum Beispiel ihren aktuellen Gedanken jeweils als Wolke vor, der am Himmel vorbeizieht.
Beobachten Sie Ihre Gedanken dabei wohlwollend und wertungsfrei beim Kommen und Gehen als Beobachter. Genau wie der Fluss Ihrer Gedanken, sind die Wolken einfach da und ziehen vorüber, es gibt keinen Grund, sie zu hinterfragen oder beeinflussen zu müssen.
Der Grübelaufschub
Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, was Sie sich eigentlich vom Grübeln versprechen? Oft hoffen wir durch exzessives Nachdenken unsere Probleme lösen zu können oder vielleicht wichtige Details zu finden, die uns vorher so noch nicht aufgefallen sind. Es wurde in Studien gezeigt, dass Menschen, die dauernd grübeln, sich etwas Positives vom Grübeln versprechen. Machen Sie sich bewusst, dass das Grübeln nichts Positives bringt, sondern nur Ihre Zeit kostet und in dem Augenblick auch ihre Problemlösefähigkeiten negativ beeinträchtigt.
Es hat sich als wirksam erwiesen, seine Grübelgedanken auf eine begrenzte Zeitspanne in der nahen Zukunft (jedoch nicht direkt vor dem Schlafengehen) zu verschieben. Dazu könnten Sie Ihre Grübelgedanken oder Sorgen auf Zettel schreiben, diese in einen Briefumschlag legen, verschließen, und sich sagen, “morgen von 13.00-13.20 nehme ich mir die Zeit, über diese wichtigen Probleme nachzudenken, bis dahin verbleiben sie in dem Umschlag”. Durch diese Technik wird Ihr Grübeln für Sie zeitlich kontrollierbarer.
Humorvolles Grübeln
Nehmen Sie die Inhalte Ihrer eigenen Gedanken nicht allzu ernst. Uns gehen tagtäglich sehr viele Gedanken durch den Kopf und gerade beim Grübeln neigen wir gerne dazu, unseren eigenen Gedanken eine viel zu große Bedeutung beizumessen, wir identifizieren uns mit ihnen und lassen uns leidenschaftlich von ihnen mitreißen. Wie wäre es, wenn Sie sich von den Inhalten Ihrer Grübelgedanken distanzieren, indem Sie sich zum Beispiel Ihre Grübelgedanken als einen lustigen Trickfilm oder Comic vorstellen, als ein dramatisches Theaterstück, oder sie als Lied zu einer ausgedachten Melodie singen, oder vielleicht sogar daraus ein Gedicht verfassen?
Mut zu mehr Gelassenheit
Gelassenheit erfordert Mut: den Mut Vergangenes loszulassen, den Mut in die eigenen Problemlösungsfähigkeiten zu vertrauen und den Mut, Gefühle zuzulassen und sie bewusst zu spüren (anstatt sie “wegdenken” zu wollen). Es gibt einige Dinge im Leben, die wir nicht verändern können, wohl aber unsere Einstellungen zu ihnen. Wenn wir lernen, diese Dinge zu akzeptieren, legen wir damit den Grundstein für eine zukunftsbezogene, optimistische Sichtweise. Diese befähigt uns wiederum dazu, Resilienz zu entwickeln und die Anforderungen des Lebens besser zu meistern.
1 Falls Sie feststellen, dass Sie häufig mehrere Stunden am Tag mit Grübeln oder Sorgen zubringen, könnte das eventuell ein Anzeichen für eine psychische Erkrankung sein, wie z.B. eine Depression, eine generalisierte Angststörung oder eine soziale Phobie. In diesen Fällen kann eine Psychotherapie weiterhelfen. Falls Ihre Gedanken sich um das Thema Suizid drehen, wählen Sie bitte den Notruf unter 112.
Marina Winkler, MSc
Leitende Psychologin
Nordseeklinik Westfalen
Doktorandin der Psychologie und Neurowissenschaften
Sabine Jochheim
Gesundheitspsychologie
Nordseekliniken Westfalen und Sonneneck
www.Nordsee.Health
Bildnachweis:
Nordseeklinik Westfalen
Dagmar-Christ-ICONS
Weiterführende Literatur:
Teismann, T., & Ehring, T. (2019). Pathologisches Grübeln (Vol. 74).
Hogrefe Verlag, Göttingen
Dieser Beitrag wurde in der Herbstausgabe 2020 der Patienten-Bibliothek – Atemwege und Lunge veröffentlicht.