Kolumne …als Arzt und als Patient
In den letzten Wochen hat sich der Umgang mit Corona in unserem Land verändert.
Während die Zahl der Infektionen, aber auch der Todesfälle, weltweit steigt, ist es in einigen Ländern, darunter auch Deutschland gelungen, durch mehr oder weniger harte Lock-down-Bestimmungen und einem verantwortlichen Umgang der Menschen mit den einhergehenden Vorgaben die Erkrankungszahlen anhaltend zu drücken.
Über viele Wochen hinweg gelang es, in Deutschland bei unter 500 Neuerkrankungen pro Tag zu bleiben und dies trotz schrittweiser gelockerter Auflagen. Einige bedeutende Vorgaben freilich sind geblieben:
- das Verbot großer Veranstaltungen, bei denen tausende von Menschen zusammenkommen
- die Maßnahmen zu social distancing, Einhalten eines Mindestabstandes von 1,5 m
- Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes bei vielen Anlässen, in denen Mindestabstände nur mühsam oder gar nicht eingehalten werden können und die nicht im Freien ablaufen können
- die Vorgaben zur Händedesinfektion und
- das verstärkte Aufpassen untereinander, ob Hinweise für einen Infekt bestehen etc.
Allerdings hat man schon den Eindruck, dass es den Menschen zunehmend schwerer fällt, dies alles Tag für Tag umzusetzen. Zu groß ist das Verlangen, endlich mal wieder ein Konzert hören zu können, gemütlich Essen gehen oder aber ein normales Leben führen zu können mit Kindern in Kindergarten oder Schule und normalen Abläufen in Beruf und Freizeit.
Ist die Luft wieder rein?
Irgendwie schien es so, als habe das Virus an Kraft verloren, als könne man es überlisten und so tun, als wäre „die Luft rein“. Das Wiederaufflammen zahlreicher Infektionen über die Republik verteilt und insbesondere angeheizt durch Urlaubsrückkehrer aus Mallorca, Kroatien, Bulgarien und anderen Urlaubszielen hat uns aber schnell in die Wirklichkeit zurückgeholt.
Die Durchseuchung der Bevölkerung hinsichtlich des Coronavirus liegt bei knapp 2 %, die Situation ist daher seuchenhygienisch gesehen genauso wie im März dieses Jahres und das Virus trifft auch weiterhin fast ausschließlich auf Menschen, die nicht oder nicht ausreichend immun sind, um nicht zu erkranken. Zwar ist der Altersdurchschnitt der CoVid-19-Patienten deutlich gesunken, was den Umstand widerspiegelt, dass im Moment besonders Menschengruppen betroffen sind, die auf größeren Feiern oder im Urlaub erkranken. Über kurz oder lang wird damit die Infektion freilich auch ältere Menschen und Atemwegspatienten erreichen.
Kein Wunder, dass die Nervosität bei Gesundheitsämtern, Lungenärzten und Krankenhäusern und damit natürlich auch in der Politik wieder rasch zunimmt, erneut Abstrichzentren organisiert werden und der Ruf nach härteren Abschottungsmaßnahmen laut wird.
Die Erkrankung optimal im Griff
Was bedeutet das nun aber für Sie, wenn Sie Patient mit Asthma oder COPD sind, wenn Sie über 70 Jahre alt sind oder einer der bekannten besonders gefährdeten Personengruppen angehören, weil Sie beispielsweise an einem Tumor leiden oder immunhemmende Medikamente nehmen müssen.
Nun, ganz einfach. Nach wie vor haben wir keine wirklich wirksamen Medikamente zur Verfügung, nach wie vor ist auch eine Impfung gegen Corona in weiter Ferne, es spricht nichts dafür, dass es vor dem nächsten Jahr gelingen wird, große Teile der Bevölkerung gegen Corona zu impfen.
Für Menschen mit chronischen Atemwegserkrankungen, die im Hinblick auf CoVid-19 als besonders gefährdet gelten müssen, kann im Hinblick auf den kommenden Herbst und Winter die Losung daher nur sein, sich so gut zu schützen, wie es nur geht. Das bedeutet, zunächst einmal dafür zu sorgen, dass die Erkrankung optimal im Griff ist und dass Sie alles tun, um einer möglichen Verschlechterung aus dem Weg zu gehen. In erster Linie würde ich darunter verstehen wollen, dass Sie ihre Medikamente regelmäßig nehmen und zwar in der Dosierung und dem Umfang, wie es mit Ihrem behandelnden Arzt vereinbart wurde. Jetzt ist nicht die Zeit, um zu experimentieren und mal hier einen Hub wegzulassen und dort eine Tablette einzusparen.
Aktiv bleiben
Das zweite, was mir wichtig wäre, ist, dass Sie versuchen, so gut wie möglich aktiv zu bleiben und damit Ihre Abwehr zu stärken. In welcher Form dies geschieht, sollten Sie gegebenenfalls mit Ihrem Arzt besprechen. Dem einen liegt es mehr zu wandern oder spazieren zu gehen, der andere schwimmt gern. Was ich auf jeden Fall allen Patienten mit chronischen Atemwegserkrankungen empfehlen kann, ist Rad zu fahren und zwar am besten mit einem E-Bike. Voraussetzung ist freilich, dass man noch einigermaßen sicher Rad fahren kann und nicht wackelt und wankt und immer Angst haben muss, jetzt gleich vom Rad zu fallen. Dann aber ist das E-Bike ein wirkliches Geschenk der Technik an Atemwegspatienten.
Ich selbst leide ja auch an COPD, bin 66 Jahre alt und vor allem erheblich übergewichtig. Trotzdem bin ich in den zwei Wochen meines Sommerurlaubs über 900 Kilometer gemeinsam mit meiner Frau durch die schwäbischen Täler und Hügel gefahren, mit Touren zum Teil über 80 Kilometer pro Tag und hatte dabei viel Vergnügen und Spaß, ohne mich zu überanstrengen. Daran wäre früher überhaupt nicht zu denken gewesen.
Nun muss man nicht gleich 80 Kilometer E-Bike fahren, vielleicht kann man sich aber doch wieder an das Thema herantrauen, wenn man noch einigermaßen gut auf einem Fahrrad sitzen kann.
Übrigens hat sich durch das Radfahren mein Gewicht ein wenig nach unten bewegt, deutlich gebessert haben sich Bluthochdruck und Zuckerwerte und die Herz- und Lungensituation dürfte ebenfalls profitiert haben. Wie auch immer, versuchen Sie, sich gerade in Corona-Zeiten irgendeine Möglichkeit zu schaffen, sich an der frischen Luft zu bewegen, die Lunge ausreichend zu belüften, Sauerstoff zu tanken, Platz für den Winterspeck zu schaffen und sich darauf vorzubereiten, dass im Herbst und Winter die Dinge wieder schlechter werden können.
Auf Herbst und Winter vorbereiten
So wie sich ein Eichhörnchen oder Igel für Herbst und Winter vorbereitet, so sollten auch Sie versuchen, in eine möglichst gute Kondition zu kommen mit dem Ziel, jeglichen Infektionen Widerstand leisten zu können. Dazu gehört dann auch, langsam an die jährliche Grippeschutz-Impfung zu denken, das gleiche gilt für alle, die keinen ausreichenden Pneumokokken-Schutz mehr haben, auch eine Pneumokokken-Impfung durchführen zu lassen.
Ja, ich höre schon den Einwand kommen, dass diese Impfungen ja nicht gegen Corona helfen, dass man sie das letzte Mal nicht so gut vertragen habe und überhaupt…
Alles gut und richtig, aber gerade in diesem Jahr sollten Sie sich auf jeden Fall impfen lassen. Diese Impfungen erhöhen insgesamt die Abwehrstärke des Körpers, sie schmieren sozusagen die Zahnräder unserer Abwehrmaschinerie insgesamt, damit sie auch bei anderen Infektionen effektiver und intensiver zur Verfügung steht. Wir können aber auch davon ausgehen, dass die gleichzeitige oder rasch aufeinander folgende Infektion mit verschiedenen Erregern, wie beispielsweise erst einer Grippe-Infektion, dann Corona und dann vielleicht auch noch für die geschwächte Lunge eine Pneumokokken-Infektion oben drauf, alles viel problematischer gestaltet, wenn man sich nicht impfen lässt, als wenn man über einen ausreichenden Impfschutz verfügt.
Jetzt ist die Zeit gekommen, beim Hausarzt oder Lungenarzt anzusprechen und sich auf den kommenden Herbst und Winter vorzubereiten.
Achtung Infektzeit
Bitte bleiben Sie in der Infektzeit möglichst zuhause. Selbst der Kontakt mit Hausarzt oder Facharzt lässt sich auf Wunsch oft per Video-Sprechstunde abwickeln, wenn nicht eine technische Untersuchung unvermeidbar ist. Wir haben in den letzten Monaten als Ärzte gelernt, wie wertvoll die Video-Sprechstunde ist, wie gut sie ermöglicht, den Zustand eines Patienten umfassend zu beurteilen und dass damit auch die persönliche, menschliche Kontaktaufnahme besser gelingt, als beispielweise nur mit einem Telefonat.
Lassen Sie sich vom Nachbarn helfen, wenn es um Einkaufen oder andere Besorgungen geht und nutzen Sie, wo immer möglich, das Angebot, sich Waren nach Hause liefern zu lassen, dies funktioniert ja mittlerweile auch in vielen Städten für Lebensmittel, für Medikamente sowieso und auch für manches andere, was nicht unbedingt persönlich erledigt werden muss. Dazu gehört meines Erachtens leider auch der Kirchgang, es sei denn, in Ihrer Gemeinde werden Abstandsregeln wirklich ernst genommen und gut umgesetzt.
Und noch ein letztes, ich habe schon einmal zum Thema Maske ausführlich meine Meinung dargestellt. Für Sie als chronischem Atemwegspatient ist es am vernünftigsten, sich mit einer FFP2-Maske zu schützen, wo immer Sie es mit anderen Menschen zu tun bekommen und ich behaupte auch, dass es für die allermeisten Menschen kein wirkliches Problem darstellt, unter einer FFP2-Maske genügend Luft zu bekommen, jedenfalls solange Sie sitzen und der Zeitraum begrenzt ist.
Wenn Sie gut genug bei Luft sind, spricht auch nichts dagegen, eine FFP2-Maske in öffentlichen Verkehrsmitteln zu tragen oder beim Einkauf im Supermarkt. Ansonsten ist eine einfache chirurgische Maske bzw. ein Mund-Nasen-Schutz besser als nichts. Geht auch das nicht, halten Sie das Atmen unter einer Maske beim Einkaufen nicht aus, dann verzichten Sie nicht auf die Maske, sondern verzichten Sie auf das Einkaufen!
Sich mit Hinweis auf die Atemwegserkrankung von der Maskenpflicht befreien zu lassen und gar nichts als Schutz zu verwenden, ist hoch riskant und meines Erachtens nicht verantwortbar. Dann bitte zuhause bleiben, genau darauf achten, mit wem man es zu tun bekommt und alle Möglichkeiten nutzen, sich von anderen bei Besorgungen helfen zu lassen. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen weiterhin alles Gute und bleiben Sie gesund!
Dr. Michael Barczok
Facharzt für Innere Medizin, Lungen- und Bronchialheilkunde, Allergologie, Sozial-, Schlaf- und Umweltmedizin, Lungenzentrum Ulm
Bildnachweis:
Dr. Michael Barczok
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Text:
Dr. Michael Barczok
Dieser Beitrag wurde in der Sommerausgabe 2020 der Patienten-Bibliothek – Atemwege und Lunge veröffentlicht.