Corona: Kapazitäten und Notwendigkeiten

DIGAB-Register für außerklinische Intensivpflege

Die aktuelle Coronavirus-Pandemie stellt unsere Gesellschaft im Allgemeinen und das Gesundheitssystem im Besonderen vor bisher nicht gekannte Herausforderungen. Ein rascher Anstieg von Infektionszahlen birgt immer die Gefahr einer Überforderung der betroffenen Gesundheitssysteme, die dann Behandlungs- und insbesondere Beatmungskapazitäten nicht ausreichend vorhalten könnten. Dieses Risiko muss in der Bundesrepublik, insbesondere in Zusammenhang mit den aktuellen Diskussionen um die richtige Strategie für einen Exit aus den Beschränkungen des öffentlichen Lebens, berücksichtigt werden.

Die Deutsche interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) hat daher ein Register ins Leben gerufen, um einen kontinuierlichen Überblick über die zur Verfügung stehenden Kapazitäten zu ermöglichen. Derzeit stehen laut DIVI-Register gut 32.000 intensivmedizinische Behandlungsplätze zur Verfügung, in denen allerdings nicht nur Menschen, die sich mit SARS-CoV2 infiziert und an CoVid-19 erkrankt sind, sondern auch alle anderen intensivpflichtigen Patienten behandelt werden.  

Um eine Überforderung des Gesundheitssystems in Deutschland zu verhindern, wurden einerseits weitreichende Einschränkungen des öffentlichen Lebens verfügt, um die Ansteckungsraten zu reduzieren, und andererseits in den Krankenhäusern alle denkbaren Anstrengungen unternommen, um ausreichende intensivmedizinische Behandlungsmöglichkeiten bereitstellen zu können.

Auf Initiative des Präsidenten der Deutschen interdisziplinären Gesellschaft für außerklinische Beatmung (DIGAB) e.V., Dr. med. Martin Bachmann, hat der Vorstand der DIGAB beschlossen, dem Intensivbetten-Register nun ein eigenes DIGAB-Register für außerklinische Intensivpflege an die Seite zu stellen.

Es wurde am 27. Juli 2020 freigeschaltet und ist unter dem Link www.digab-register.de erreichbar.

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Dr. phil. Maria Panzer, Pressesprecherin der DIGAB und Medizinjournalistin sprach mit Dr. Martin Bachmann, Chefarzt der Klinik für Atemwegs-, Lungen- und Thoraxmedizin, Beatmungszentrum Asklepios Klinikum Harburg, Hamburg über das DIGAB-Register.

Das Register ist nun seit etwa einem Monat online. Welche Erfahrungen konnten Sie bereits sammeln?

Inzwischen haben sich bereits 200 Pflegeanbieter (Pflegedienste, Wohngemeinschaften und stationäre Einrichtungen) registriert, und täglich kommen neue hinzu. Außerdem erreichen uns viele Anrufe. Ich bin überzeugt, dass wir nach Ende der Ferienzeit noch sehr viel mehr Registrierungen erhalten werden. Die mediale Aufmerksamkeit, die das DIGAB-Register erfährt, freut uns, denn auch darüber erreichen wir viele Unternehmen, die außerklinische Intensivpflege anbieten, sei es in Pflege-/Wohnheimen, Intensiv-Wohngemeinschaften oder im Rahmen einer häuslichen Versorgung. Auch an dieser Stelle appelliere ich an die Anbieter außerklinischer Intensivpflege, sich unter www.digab-register.de zu registrieren.

Welche Zielsetzung des Registers ist Ihnen persönlich besonders wichtig?

Zwar bin ich in einer Klinik tätig, aber ich werde tagtäglich mit Problemen in der außerklinischen intensivpflegerischen Versorgung konfrontiert. Ich sehe, wie negativ sich beispielsweise Krankheitsfälle im Pflegeteam auswirken und unmittelbar Versorgungsengpässe auftreten können. Das hat für die Betroffenen vielfach fatale Folgen und die Corona-Pandemie schränkt uns zusätzlich ein, weil wir nicht mehr so flexibel Intensivbetten bereitstellen können.

Um einen raschen Überblick über die Versorgungsmöglichkeiten zu gewinnen, hat mich die Idee des DIVI-Registers derart fasziniert, dass ich sofort dachte: Genau so etwas brauchen wir auch im außerklinischen Bereich. Mir persönlich ist es ein großes Anliegen, dass die Patient*innen, die ich in der Klinik behandle, auch nach ihrer Entlassung adäquat versorgt werden. Hier waren wir uns im Vorstand sofort einig. Neben Jörg Brambring unterstützte uns bei der Umsetzung ganz besonders tatkräftig Dr. Benjamin Grolle, der Sprecher unserer „Sektion Kinder“, dem ich an dieser Stelle ganz besonders danken möchte.

Das Register ist vornehmlich für Ärzte und Fachpersonal, dennoch, wie können Patienten bzw. pflegende Angehörige davon unmittelbar profitieren?

Patient*innen und pflegende Angehörige können das Register schon jetzt nutzen, da die Kontaktdaten und die Webseite eines jeden Anbieters außerklinischer Intensivpflege ersichtlich sind. Wer einen Pflegeanbieter mit einem spezifischen Angebot sucht, kann die Filterfunktion nutzen und z.B. im jeweiligen Bundesland recherchieren. Auch speziell nach Kapazitäten für Kinder kann gesucht werden bzw. es werden Kinder- und Erwachsenenversorgungen dargestellt. Besonders hilfreich dürfte das Register auch im Rahmen des Überleitungsmanagements für die Sozialdienste der Kliniken und die Krankenkassen sein. Die durch das Register angestrebte Transparenz der Versorgungskapazitäten macht es auch möglich, dass die Anbieter der außerklinischen Intensivpflege besser miteinander kooperieren und besonders regionale Engpässe überbrücken können. Damit soll erreicht werden, dass die betroffenen Menschen mit außerklinischer Beatmung in ihrem privaten Umfeld bzw. regional weiterversorgt werden.

Sie zeigen auch eine mittelfristige Perspektive des Registers im Sinne einer verbesserten Bedarfsplanung und Versorgungsstrukturen auf. Kann man das Register langfristig auch als ein Element der Versorgungsforschung bezeichnen?

Die Versorgungsforschung steckt bei der außerklinischen Intensivversorgung noch immer „in den Kinderschuhen“. Es gibt zwar schon einige sehr gute Modellprojekte und Studien, aber es fehlt uns der Überblick. Seit Jahren kursiert die geschätzte Zahl von bundesweit 30.000 außerklinisch beatmeten Kindern und Erwachsenen. Selbst die Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage im Deutschen Bundestag stellt mich hier nicht zufrieden. Es wird zu wenig differenziert zwischen den Betroffenen, die invasiv oder nicht-invasiv beatmet werden, ob Betroffene zwar eine Trachealkanüle haben, aber nicht beatmet werden, wie schwer die Beeinträchtigung und wie hoch der Bedarf an Intensivpflege ist, ganz zu schweigen die Frage, mit welchen Erkrankungen, in welcher Zahl wir es zu tun haben. Es gibt hier noch sehr viele Fragen, die es unmöglich machen, einen exakten Überblick über die Versorgungsstrukturen zu erhalten.

Eine Ursache dieser Intransparenz ist auch, dass Kliniken und Versorger in der Außerklinik noch nicht optimal miteinander kommunizieren, keine Daten gesammelt werden und keine wirkliche Durchlässigkeit herrscht. Grundsätzlich müssen wir bei der Versorgung unserer Patient*innen sektorübergreifend denken. Auch in diesem Sinn leistet das Register einen wesentlichen Beitrag, in dem es dem z.T. schnellen Wechsel der Patient*innen zwischen außerklinischem und stationärem Bereich unterstützend entgegenkommt. 

Wir streben insgesamt einen Zustand an, in dem die Bedarfsplanung schneller erfolgen kann und die Versorgungsstrukturen an diese Bedarfe angepasst werden. Hierfür brauchen wir aber belastbare Daten über die Versorgungslandschaft. Deshalb streben wir eine Weiterentwicklung des DIGAB-Registers an und werden die teilnehmenden Unternehmen bitten, zusätzliche Informationen in anonymisierter Form beizutragen, beispielsweise über zugrundeliegende Erkrankungen bei ihren Patient*innen und andere Details, die uns mehr Erkenntnisse über die Versorgungsstrukturen und die Erfordernisse einer adäquaten Versorgung geben. Wir werden dies auf wissenschaftlicher Ebene und unter strikter Einhaltung des Schutzes sensibler Daten auswerten, über die Ergebnisse die Öffentlichkeit informieren und, sollte dies erforderlich sein, die Politik auffordern, im Interesse der Betroffenen tätig zu werden.

Und welche Rolle spielt langfristig die große Anzahl der nicht-invasiv Beatmeten – auch für das Register?

Sobald wir das DIGAB-Register erweitert haben, werden wir auch Fragen zu nicht-invasiv beatmeten Betroffenen stellen und sie in die Versorgungsforschung selbstverständlich einbeziehen. Sicher betrifft das Register nur einen kleinen Teil der nicht-invasiv Beatmeten, die auch eine Indikation für eine außerklinische Intensivpflege aufweisen, also in der Regel neuromuskulär Erkrankte oder Betroffene mit Motoneuronerkrankungen.

Hinweis:
Weitere Informationen erhalten Sie auf www.digab.de

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Der Beitrag wurde in der Herbstausgabe 2020 der Patienten-Bibliothek – Atemwege und Lunge veröffentlicht.


Bildnachweis:
ResMed
Dr. Martin Bachmann
Deutsche interdisziplinäre Gesellschaft für außerklinische nicht-invasive Beatmung e.V. (DIGAB)

Text:
Interview/Text – Dr. phil. Maria Panzer, DIGAB
Konzept – Sabine Habicht – Redaktionsleitung Patienten-Bibliothek


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