Palliativmedizin

Artikel aus der Zeitschrift Patienten-Bibliothek / COPD in Deutschland – Winter 2017
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…bin ich wirklich schon so weit?

Wenn der Begriff „Palliativmedizin“ auftaucht, denken viele Menschen an „Sterbemedizin“. Dabei wirken palliativmedizinische Methoden und Einstellungen auch in früheren Krankheitsstadien segensreich. Die Palliativmedizin wendet sich an alle Menschen mit schweren, fortgeschrittenen Erkrankungen. Gerade COPD-Patienten und ihre Angehörigen profitieren von einer rechtzeitigen Auseinandersetzung mit diesem Thema.

Was will und was kann „Palliativmedizin“?

„Machen Sie sich schon mal frei!“ Diese Aufforderung kennen die meisten Patienten von ihren Arztkontakten. Die Palliativmedizin setzt genau beim Gegenteil an: Sie will den Patienten „mit einem Mantel umhüllen“ (lateinisch: palliare). Im Grunde ein einladender Ansatz! Dennoch scheuen viele COPD-Patienten vor dem Thema „Palliativbehandlung“ zurück: „Soweit bin ich noch nicht!“ „Das ist doch nur was für schwer Krebskranke.“ So oder ähnlich lauten die Antworten auf vorsichtige Hinweise von ärztlicher oder pflegerischer Seite.

Im Gesamtkonzept „Palliative Care“ (to care – engl: sorgen für) geht es jedoch um die Lebensqualität des Patienten, sein Wohlbefinden, seine Wünsche, seine Ziele.

Fazit:
Palliativmedizin ist ein Teilbereich von „Palliative Care“ und bietet Therapie im Sinne einer möglichst umfassenden Symptomkontrolle.

Warum ist die Konfrontation mit dem Thema „Palliativbehandlung“ gerade für COPD-Patienten schwierig?

Als COPD-Patient wissen sie seit der Diagnosemitteilung, dass sie an einer derzeit noch nicht heilbaren, fortschreitenden Erkrankung leiden. Doch meist gelingt es lange, die Augen vor dem Verlauf der Krankheit zu verschließen.

Typische Patientenaussagen lauten etwa so:

– „Meine COPD ist eine Geschichte ohne exakten Beginn.“
– „Erste Zeichen der Erkrankung habe ich als normale Alterserscheinungen abgetan.“
– „Exazerbationen waren für mich keine ernsthaften Zeichen der Verschlechterung, sondern Unterbrechungen des normalen Lebens.“
– „Es gab immer wieder stabile Phasen, in denen ich die Krankheit verdrängt habe.“

Allen Aussagen gemeinsam ist die Tendenz, COPD eher als „a way of life“, als „eine Art zu leben“ zu erfahren – weniger als eine fortschreitende Erkrankung, durch die sich die Lebensdauer verringert.

Auch Angehörige schätzen den Verlauf der COPD oft nicht realistisch ein. In einer rückblickenden Studie war beispielsweise 44 Prozent der Hinterbliebenen nicht bewusst, dass ihr COPD-Partner an dieser Krankheit sterben kann.

Fazit:
Der individuell unterschiedliche Verlauf der COPD zeigt stabile Phasen und Erholung nach Exazerbationen – und das ist gut so! Allerdings bildet eben dieser Verlauf der Erkrankung eine Hürde, das Thema „Palliativbehandlung“ anzusprechen – und das ist zumindest bedenklich!

Weshalb kann es sinnvoll sein, rechtzeitig über Palliativmedizin nachzudenken?

Je mehr die COPD fortschreitet, umso eingeschränkter ist die Lebensqualität. Die Belastung der Patienten ist oft gleich groß oder sogar größer als bei Lungenkrebs-Patienten.


Häufige Symptome bei fortgeschrittener COPD sind:

– Luftnot
– Mundtrockenheit
– Schwäche/Fatigue
– Schlafstörungen
– Schmerzen
– Appetitlosigkeit/Kachexie (Auszehrung)
– Ängste und Depressionen

Gerade die oben angeführten Symptome lassen sich mit den Methoden der Palliativmedizin beheben oder lindern.

Fazit:
Patienten mit fortgeschrittener COPD haben in der Regel eine hohe Symptomlast. Palliativmedizin kann durch Symptomkontrolle helfen, Belastungen zu beseitigen oder zumindest zu mildern.

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Wann sollte eine Palliativbehandlung im Krankheitsverlauf beginnen?

Es gibt wissenschaftlich begründete Belege, die für eine sogenannte Frühe Palliative Führung (FPF) sprechen. Ein aktuelles integriertes Modell für den zeitgerechten Einsatz von Palliative Care bei COPD sieht beispielsweise so aus:

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In der Praxis ist diese Frühe Palliative Führung keineswegs üblich. Man orientiert sich bestenfalls an „Red Flags“ (Warnzeichen) für einen rasch ansteigenden palliativmedizinischen Bedarf.

Bei COPD sind solche „Red Flags“ – neben allgemeinen klinischen Zeichen – vor allem folgende Befunde:

– schwere Obstruktion oder Restriktion der Lunge
– Sauerstoff-Langzeittherapie
– zwischen den Exazerbationen: Atemnot in Ruhe oder bei geringster Belastung
– anhaltende schwere Symptome trotz optimaler Therapie
– symptomatische Herzinsuffizienz
– Body Mass Index < 21 (kritisches Untergewicht)
– Zunahme notfallmäßiger stationärer Aufnahmen wegen Exazerbationen und/oder Atempumpenversagen

Fazit:
Es gibt gute Gründe und erkennbare Hinweise (Warnzeichen) für den zeitgerechten Einsatz von Palliativmedizin bei COPD.

Wie kann eine sinnvolle Palliativbehandlung aussehen?

Eine Hemmschwelle für die offene und ehrliche Kommunikation über PalliativeCare ist die Angst, damit Hoffnungen zu zerstören oder vor der Krankheit zu kapitulieren. Untersuchungen zeigen jedoch: Palliativ Care verlängert in der Regel das Überleben – zugleich erfolgen weniger eingreifende Therapiemaßnahmen.

Ist die Kommunikations-Barriere einmal übersprungen, können Patienten, Angehörige und Behandler gemeinsam folgende Schritte unternehmen:

– Warnzeichen („Red Flags“) identifizieren
– Symptome, Bedürfnisse und Kraftquellen von Patienten und Angehörigen erfassen
– Die dauerhafte Versorgung durch die entsprechend qualifizierten Dienste und Behandler abstimmen (Hausarzt, Facharzt, ambulanter Pflegedienst, Spezialisierte Ambulante Palliativversorgung = SAPV, ambulante Atemphysiotherapie etc…)
– Die COPD-spezifische Therapie sicherstellen. Diese sollte nach den Leitlinien mit allen erprobten Methoden (= multimodal) erfolgen.
– Behandlung am Lebensende mit allen Beteiligten offen besprechen.
– Den Hinterbliebenen nach dem Tod des Patienten psychosoziale Unterstützung bzw. Trauerbegleitung anbieten.

Fazit:
Es gibt bewährte palliative Konzepte, die sich in gemeinsamer Absprache und kooperativ zum Wohle aller Beteiligten anwenden lassen. Und wer bezahlt das alles?

Palliativmedizinische Behandlung wird momentan aus unterschiedlichen Quellen finanziert. Besonders die Spezialisierte Ambulante Palliativversorgung (SAPV) ist durch die Anerkennung als Pflichtleistung der Gesetzlichen Krankenversicherung gestärkt worden. Auch das neue Hospiz- und Palliativgesetz soll helfen, dass Patienten mit fortgeschrittenen, lebensbegrenzenden Erkrankungen ihre letzte Zeit möglichst symptomfrei, in Würde und auf Wunsch zuhause erleben können.

Fazit:
Der zeitgerechte Einsatz von Palliativmedizin kann auch für COPD-Patienten segensreich sein, wenn eine offene Kommunikation zwischen allen Beteiligten gelingt.

Möglicherweise haben Sie nach dem Lesen des Artikels im Augenblick kein Bedürfnis nach mehr „Tipps“ zum Thema „Palliativbehandlung“. Vielleicht lassen Sie jedoch nach einer „Gedankenpause“ ein paar Überlegungen in diese Richtung zu. Für konstruktive Gespräche zu diesem schwierigen Thema ist ein möglichst gutes Verständnis unverzichtbar. Deshalb finden Sie in der Infobox einige Definitionen und ein paar Erklärungen zu den wichtigsten palliativmedizinischen Begriffen.

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Autorin: Monika Tempel
Ärztin, Referentin, Autorin
Schwerpunkt Psychopneumologie
info@monikatempel.de,
www.monikatempel.de


 

Fachbegriffe im Zusammenhang mit Palliativbehandlung

Kurative Behandlung auf Heilung zielende Behandlung

Palliative Behandlung gegen die Grunderkrankung gerichtete, medikamentöse und nicht-medikamentöse Maßnahmen bei Patienten mit einer nicht heilbaren Erkrankung mit dem primären Ziel der Lebensverlängerung und/oder Symptomkontrolle.

Palliative Care international üblicher, umfassender Fachausdruck für Palliativversorgung

Palliativmedizin – Definition nach WHO (Weltgesundheitsorganisation)
„Palliativmedizin ist ein Ansatz zur Verbesserung der Lebensqualität von Patienten und ihren Familien, die mit den Problemen konfrontiert sind, die mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung einhergehen, und zwar durch Vorbeugen und Lindern von Leiden, durch frühzeitiges Erkennen, gewissenhafte Einschätzung und Behandlung von Schmerzen sowie anderen belastenden Beschwerden körperlicher, psychosozialer und spiritueller Art.“ Pallative-Care-TeamMultiprofessionelles Team, das Palliative Care im stationären und/oder ambulanten Sektor anbietet. Besteht wenigstens aus Palliativmediziner und Palliativpflegekraft, zusätzlich können weitere Berufsgruppen wie Sozialarbeiter, Seelsorger oder Psychologe zum Palliative-Care-Team (PCT) gehören.

AAPV Die allgemeine ambulante Palliativversorgung (AAPV) dient dem Ziel, die Lebensqualität und die Selbstbestimmung von Palliativpatienten so weit wie möglich zu erhalten, zu fördern und zu verbessern und ihnen ein menschenwürdiges Leben bis zum Tod in ihrer gewohnten Umgebung, in stationären Pflegeeinrichtungen bzw. stationären Hospizen zu ermöglichen. AAPV beinhaltet die Palliativversorgung, die von Primärversorgern (in erster Linie niedergelassenen Haus- und Fachärzten sowie ambulanten Pflegediensten) mit palliativmedizinischer Basisqualifikation erbracht werden kann. Der Großteil der Palliativpatienten kann auf diese Weise ausreichend versorgt werden. Reichen die therapeutischen Möglichkeiten nicht aus, um den Bedürfnissen der Betroffenen gerecht zu werden, sind die Strukturen der spezialisierten Palliativversorgung (z. B. SAPV) einzubeziehen.

SAPV Die spezialisierte ambulante Palliativversorgung (SAPV) richtet sich an Palliativpatienten und deren soziales Umfeld, wenn Intensität oder Komplexität der krankheitsbedingten Probleme den Einsatz eines spezialisierten Palliativteams (Palliative Care Team) vorübergehend oder dauerhaft notwendig machen. Sie erfolgt im Rahmen einer ausschließlich auf Palliativversorgung ausgerichteten Versorgungsstruktur. Diese beinhaltet insbesondere spezialisierte palliativärztliche und palliativpflegerische Beratung und/oder (Teil-)Versorgung, einschließlich der Koordination von notwendigen Versorgungsleistungen bis hin zu einem umfassenden, individuellen Unterstützungsmanagement. Unverzichtbar für die SAPV sind: Multiprofessionalität, 24-stündige Erreichbarkeit an sieben Tagen in der Woche und Expertenstatus der einzelnen Leistungserbringer.

Hospiz (lat. hospitium = Herberge) ist ein Konzept für die Begleitung Sterbender und ihrer Angehörigen. In erster Linie umfasst es
die Betreuung unheilbar erkrankter Menschen in der letzten Phase ihres Lebens in ihrer häuslichen Umgebung, aber auch im stationären Bereich (Palliativstation, Stationäres Hospiz).


Text:
Monika Tempel, Regensburg

Fotonachweis:
Monika Tempel, Regensburg
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Der Beitrag wurde in der Winterausgabe 2017 der Patienten-Bibliothek – Atemwege und Lunge veröffentlicht.

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