Formen der Atmungsschwäche

Therapeutische Optionen bei Vorliegen einer Atmungsschwäche

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Die nachfolgenden Inhalte zur Atmungsschwäche basieren auf dem Vortrag „High-Flow-Sauerstoff-Therapie im außerklinischen Bereich – eine echte Alternative?“ von Dr. Jens Geiseler anlässlich des Workshops der Deutschen Sauerstoff- und BeatmungsLiga LOT e.V. beim Kolloquium 2019 in Bad Reichenhall und einem Gespräch mit Dr. Geiseler im Nachgang des Vortrages.  

Dr. Geiseler ist Chefarzt der Medizinischen Klinik IV für Pneumologie, Beatmungs- und Schlafmedizin, Klinikum Vest in Marl und Vorsitzender der Deutschen Sauerstoff- und BeatmungsLiga LOT e.V.  – www.sauerstoffliga.de 

Atmungssysteme

Sauerstoffaufnahme
Jede einzelne Zelle unseres Körpers benötigt dauerhaft Sauerstoff. Auch wenn manche Körperzellen einige Stunden ohne Sauerstoff funktionsfähig bleiben, so sterben andere Zellen – speziell die Hirnzellen – bereits nach kurzer Zeit ohne Sauerstoff ab. 

Bei der Einatmung nehmen wir über die Lunge Sauerstoff auf. In den winzigen Lungenbläschen am Ende der kleinsten Bronchienverästelungen findet der Austausch des Sauerstoffs ins Blut statt. Über das Blut wird der Sauerstoff für den „Endverbrauch“ weiter zu den einzelnen Körperzellen transportiert.

Sauerstoff ist für unsere Körperzellen essenziell notwendig, um Energie zu produzieren. Die gewonnene Energie dient sowohl dem Selbsterhalt der Zellen, als auch der funktionellen Leistungserbringung, wie z. B. dem Zusammenziehen bei Muskelzellen.

Kohlendioxidabgabe
Im Rahmen des Stoffwechsels entsteht im Körper als „Abbauprodukt“ neben Wasser vor allen Dingen Kohlendioxid (CO2). Zur „Entsorgung“ muss das Kohlendioxid über das Blut zur Lunge transportiert und dort über die Ausatmung abgeatmet werden. Der Abtransport erfolgt also entgegengesetzt zum Weg des Sauerstoffs.   

Im Prinzip basiert die Atmung auf mehreren miteinander „verzahnten Systemen“ zur Sauerstoffaufnahme und Kohlendioxidabgabe. Erkrankungen können Einfluss auf die Systeme nehmen und eine Atmungsschwäche an einem System oder aber auch an beiden Systemen auslösen.

Formen der Atmungsschwäche

Zwei Formen der Atmungsschwäche (respiratorische Insuffizienz) sind zu unterschieden:

Schwächung der Lunge (pulmonale Insuffizienz)

Erkrankungen der Lunge, wie beispielsweise eine Lungenentzündung, eine Lungenfibrose oder eine COPD, können den Gasaustausch zwischen den Millionen kleinen Lungenbläschen und den sie umschließenden kleinen Gefäßnetzen beeinträchtigen. Die notwendige Fläche zum Gasaustausch wird durch die Erkrankung reduziert bzw. eingeschränkt. 

Eine Erkrankung der Lunge führt primär zu einer Störung der Sauerstoffaufnahme. Als Konsequenz daraus nimmt der Gehalt des Sauerstoffs im Blut ab.

Häufigste Ursache für eine Sauerstoffstörung ist die chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD), unter diesem Begriff werden das Lungenemphysem und die chronische Bronchitis zusammengefasst. Sauerstoffmangel im Blut wird medizinisch als Hypoxämie bezeichnet.

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Langzeit-Sauerstofftherapie
Ein behandlungsbedürftiger chronischer Sauerstoffmangel im Blut liegt vor, wenn sich der arterielle Sauerstoffpartialdruck (PaO2) unter Ruhebedingungen während einer stabilen Krankheitsphase von ca. vier Wochen mehrfach (mindestens dreimal) zwischen 56-60 mm Hg befindet (gemäß der derzeit in Überarbeitung befindlichen Leitlinie zur Langzeit-Sauerstofftherapie). Der Normbereich liegt zwischen 75-95 mmHg.

Eine Langzeit-Sauerstofftherapie erhöht die Konzentration des Sauerstoffs bei der Einatmung. Ziel einer Langzeit-Sauerstofftherapie ist die Wiederherstellung einer ausreichenden Belüftung/Durchblutung (Ventilation/Perfusion) zur Sicherstellung des Gasaustausches.

Durch die erhöhte Konzentration des Sauerstoffs merkt das Atemzentrum, dass wieder genug Sauerstoff vorhanden ist und reduziert somit den Antrieb der Atemmuskulatur, die Atemfrequenz normalisiert sich.

Schwächung der Atempumpe

Der Begriff Atempumpe wurde vor ca. 25 Jahren in der Medizin geprägt. Unter diesem Begriff werden die Skelettanteile des Brustkorbs, die Atemmuskulatur mit ihren peripheren Nerven und das Atemzentrum (Teil des Gehirns, das die Ein- und Ausatmung reguliert) zusammengefasst. Die Atemmuskulatur wiederum setzt sich aus dem Zwerchfell, dem wichtigsten Atemmuskel, sowie den Zwischenrippenmuskeln zusammen. Bei körperlicher Anstrengung und erschwerter Atmung kann die Atemhilfsmuskulatur (Hals-, Nacken- und Schultergürtelmuskeln) die Atmung zusätzlich unterstützen.

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Lunge und Zwerchfell, der größte Atemmuskel

Ist der Sauerstoffgehalt im Blut durch eine Erkrankung oder durch den ganz natürlich erhöhten Bedarf, wie z. B. durch verstärkte körperliche Bewegung, zu niedrig, erfolgt automatisch mittels Impulsen der Befehl an das Gehirn, schneller und tiefer zu atmen.

Durch die gesteigerte Atmung kann mehr CO2 abgeatmet und im Prinzip mehr Platz für Sauerstoff geschaffen werden – der Körper versucht über diese Steuerung eine Balance zwischen den einzelnen Systemen herzustellen.

Solange die mit der gesteigerten Atmung einhergehende Belastung der Atemmuskulatur zeitlich begrenzt bleibt, wie dies bei einem Gesunden der Fall ist, sind keinerlei Auswirkungen zu erwarten. Bei einer Dauerbelastung der Atemarbeit und somit der Atemmuskulatur über Jahre bzw. Jahrzehnte hinweg, etwa aufgrund einer Erkrankung der Lunge mit chronischem Sauerstoffmangel, kann diese jedoch sekundär zu einer Überlastung der Atemmuskulatur führen.

Wichtig zu wissen: Haupteffekt einer Langzeit-Sauerstofftherapie ist die Entlastung der Atemmuskulatur, damit diese nicht überlastet bzw. geschwächt wird.  

Eine Schwächung der Atemmuskulatur kann sich allerdings auch unmittelbar durch Erkrankungen der Atempumpe entwickeln und so das System der Abatmung stören. Auslöser können beispielsweise Durchblutungsstörungen des Gehirns sein, Nervenerkrankungen, die die Weiterleitung der Informationen zum Ein- und Ausatmen an die Muskulatur behindern, oder Veränderungen des Brustkorbs durch eine extrem verkrümmte Wirbelsäule, wie klassischerweise bei einem Morbus Bechterew.  

Eine Schwächung der Atempumpe führt zu einer Störung der Abatmung des Kohlendioxids, es staut sich im Körper und die CO2-Blutgaswerte steigen an.

Ein Anstieg von CO2 im Blut wird medizinisch als Hyperkapnie bezeichnet.

Nicht-invasive Beatmung (NIV)
Wichtigste Kriterien für die Einleitung einer NIV bei COPD ist ein chronisch erhöhter Kohlendioxidgehalt im Blut und eine chronische Überlastung der Atemmuskelpumpe, wenn dieser mit den typischen Symptomen einer Gasaustauschstörung (pulmonalen Insuffizienz) und Einschränkung der Lebensqualität bzw. immer wiederkehrenden akuten Verschlechterungen (rezidivierenden Exazerbationen) einhergeht.

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NIcht-invasive Beatmung – NIV

Weitere Indikationskriterien sind eine chronische Tages-Hyperkapnie mit einem arteriellen Kohlendioxidpartialdruck (PaCO2) ≥50 mmHg und eine nächtliche Hyperkapnie >55 mmHg.

Die Maskenbeatmung einer NIV funktioniert ähnlich dem Prinzip einer Luftpumpe. Durch erhöhten Druck gelangt mehr Luft in die Lunge als über den Weg der normalen Atmung. In der Regel ist eine nächtliche Anwendung einer NIV über 6-8 Stunden für eine Erholung der Atemmuskulatur ausreichend.  

Bei Patienten mit fortgeschrittener COPD lassen sich mit einer nicht-invasiven Beatmungstherapie Verbesserungen der Lebensqualität, der körperlichen Leistungsfähigkeit und der Lebenserwartung erzielen. Die Langzeit-NIV ist eines der wenigen Verfahren im Bereich der pneumologischen Therapie, mit der nachweislich eine höhere Lebenserwartung erzielt werden kann. Die Effekte der NIV-Beatmung bei einer Atempumpenschwäche basieren laut Hypothese auf der Erholung der Muskulatur und der Senkung der Last durch Verbesserung der elastischen Volumendehnbarkeit von Lunge und Brustkorb (Thorax).  

Nasale High-Flow-Therapie
Bei Atmungsschwächen (respiratorischen Insuffizienzen) ist die Therapie je nach Ursache mit Sauerstoff bzw. Beatmung erforderlich, um die Symptomatik und die Prognose der Erkrankung entscheidend zu verbessern. Neben der konventionellen Sauerstofftherapie mittels Nasenbrillen oder Mund-Nasen-Masken und der NIV hat sich in den letzten Jahren die sog. nasale High-Flow-Therapie (NHF) etabliert.

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Ursprünglich stammt diese Therapieform aus der Kinderheilkunde. Die NHF wird bei der Behandlung von Frühchen bereits als Standardtherapie eingesetzt, denn Frühgeborene haben häufig Probleme mit der Atmung. Die künstliche Beatmung bei sehr kleinen Kindern, deren Lungen sich noch in der Entwicklung befinden, stellt eine ganz besondere Herausforderung dar.

Über spezielle kleine, dünne Sonden der NHF kann ein erwärmtes und befeuchtetes Luft-Sauerstoff-Gemisch besonders schonend zugeführt werden. Die Durchflussrate der NHF-Therapie ist mit 20 bis 60 Litern pro Minute höher als in der konventionellen Sauerstofftherapie. Dies führt zu einem geringen Überdruck in den oberen Atemwegen. Je nach Bedarf lässt sich der eingeatmete Sauerstoffanteil stufenlos variieren.


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Welche Anwendung kann die nasale High-Flow-Therapie in der Behandlung respiratorischer Insuffizienzen bei Erwachsenen finden, für welche Patienten ist diese Anwendung besonders geeignet? Welche Vor- und welche Nachteile gibt es im Vergleich zu den konventionellen Therapien?

Was sollte man zum Wirkprinzip der NHF wissen? Wie ist der aktuelle Stand der Studien

Auf diese und vielen weitere Fragen geht der zweite Teil des Beitrages in der Winterausgabe 2019 der Patienten-Bibliothek – Atemwege und Lunge ein. Siehe ab Seite 30.


Blutgasanalyse

Die Blutgasanalyse (BGA) zählt zur klinischen Standard-Diagnostik. Mit ihr werden die Gasverteilung – der sog. Partialdruck – von Sauerstoff (O2) und Kohlendioxid (CO2), der Säure-Basen-Haushalt und der pH-Wert im Blut gemessen.

Zur Blutgasanalyse wird arterielles Blut, etwa aus dem Ohrläppchen, der Unterarm- oder Oberschenkelarterie entnommen und in speziellen Analyseapparaten ausgewertet. Bei Lungenerkrankungen wie COPD, Asthma und Mukovoszidose, die mit Atembeschwerden einhergehen, ist vor allem die Überwachung der Sauerstoffversorgung von Interesse.

Auch der Säure-Basen-Haushalt kann über Lungenerkrankungen Aufschluss geben: Eine Übersäuerung ist auf einen erhöhten Anteil von gelöstem Kohlendioxid im Blut zurückzuführen, was wiederum auf Probleme der Sauerstoffaufnahme hindeuten kann.

Nicht jede Abweichung vom Normwert ist ein Grund zur Beunruhigung. COPD-Patienten haben zum Beispiel häufig einen erhöhten Kohlendioxid-Partialdruck, werden dadurch aber nicht weiter beeinträchtigt.

Quelle: www.lungeninformationsdienst.de

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Wichtig!
Mittels Pulsoximeter kann nur die Sauerstoffsättigung gemessen und der Puls ermittelt werden. Die Blutgasanalyse ist bei den lungenfachärztlichen Kontrolluntersuchungen daher unerlässlich.


Bildnachweis:
Fisher & Paykel
ResMed
Jack Tuszynski PhotoJack.net – Helios
rdnzl, Alexandr Mitiuc – Fotolia

Interview/Text:
Sabine Habicht, Redaktionsleitung Patienten-Bibliothek


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Der Beitrag wurde in der Herbstausgabe 2019 der Patienten-Bibliothek – Atemwege und Lunge veröffentlicht.

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