Einfluss auf die Erkrankung nehmen

…von der Patientin zur Lungensport-Übungsleiterin

Die Grunderkrankung Bronchiektasie bzw. Bronchiektasen* ist bei Jutta Remy-Bartsch (62)  aus dem Westerwald vor etwa 30 Jahren diagnostiziert worden. Als mögliche Ursache wurden doppelseitige Lungenentzündungen, die bereits im Säuglingsalter auftraten, benannt. Aus den chronischen Entzündungen der Bronchiektasen entwickelte sich im Laufe der Jahre sekundär eine COPD, die sich aktuell im Stadium GOLD II befindet. Da der rechte untere Lungenlappen sehr stark von Bronchiektasen betroffen war, wurde dieser operativ entfernt.   

Das Leben mit der chronischen Erkrankung gestaltet sich als ein immerwährendes Auf und Ab von guten, ja sogar sehr guten, aber ebenso sehr schlechten Jahren. Wobei in den schwierigen Jahren fünf bis acht schwere Lungenentzündungen und lange Krankenhausaufenthalte durchaus keine Seltenheit waren.

„Manchmal bekomme ich innerhalb kürzester Zeit sehr hohes Fieber, das etwa drei Tage anhält und sich dann wieder normalisiert. Sehr belastend sind zudem auftretende Erschöpfungserscheinungen, die es mir bereits morgens kaum ermöglichen, mich zu bewegen, sodass ich mich hinsetzen oder sogar hinlegen muss. Ebenso führt die Überproduktion von Bronchialsekret zu deutlichen Einschränkungen.“  

Eine besondere Herausforderung war und ist, dass Bronchiektasie noch immer wenig bekannt ist, als seltene Erkrankung galt und somit noch wenig medizinische Erfahrung vorhanden ist. Symptome konnten oft nicht zugeordnet werden, Jutta Remy-Bartsch machte daher mehr als einmal die Erfahrung, als Simulant zu gelten.

Information, Eigeninitiative, Verantwortung

Ihr Credo wurde: Sich selbst kümmern, immer wieder aufstehen, weitermachen, auch wenn es schwer fällt, nicht hängen lassen und vor allen Dingen jede Möglichkeit wahrnehmen sich zu informieren, um dann reflektiert den ganz eigenen Weg im Umgang mit der Erkrankung zu finden.

Als die Selbsthilfegruppe in Montabaur gegründet wurde, war sie dabei. „Auch wenn die Gruppe zunächst nur aus drei Personen bestand, die Teilnehmerzahl spielte überhaupt keine Rolle, denn auch im Kleinen ist der Austausch untereinander unendlich wichtig. Jeder kann mit seinem Stück Information und mit seinen eigenen Erfahrungen zum Ganzen beitragen.“ Inzwischen ist die Selbsthilfegruppe angewachsen auf 70 Mitglieder.

Vier Jahre lang war eine Lungensportgruppe präsent, dann hörte der Trainier auf. Was nun?

Jutta Remy-Bartsch begann sich zu informieren, welche Voraussetzungen und welche Ausbildungsschritte für einen Übungsleiter für Lungensport notwendig sind. Ein umfangreiches Unterfangen, da zunächst eine Basisausbildung zur Erlangung der Lizenz „Übungsleiter Rehabilitationssport“ notwendig ist, dann die Profilausrichtung auf Innere Medizin, im Weiteren u.a. Hospitationen und die Fortbildung für den Fachbereich Lungensport. 

…aber sie ging den anspruchsvollen Weg trotz der notwendigen Investitionen von Zeit und Geld.

*Bronchiektasen – keine seltene Erkrankung
Nicht heilbare Ausweitungen der Bronchien, die von Bakterien besiedelt werden und sich dann entzünden, nennt man Bronchiektasen (griechisch = Erweiterung). Sie können infolge einer chronischen Lungenerkrankung aufgrund entzündlicher Prozesse entstehen oder in seltenen Fällen angeboren sein.

„In diesen zylinder, sack- oder spindelförmigen Ausweitungen funktioniert der natürliche Selbstreinigungsprozess der Atemwegsschleimhaut nicht, vielmehr sammelt sich in ihnen Sekret, das dann von Bakterien besiedelt zu einer Quelle wiederkehrender Infektionen wird“, formuliert Professor Dr. Michael Pfeifer, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP) und Medizinischer Direktor der Klinik Donaustauf sowie Chefarzt im Krankenhaus Barmherzige Brüder in Regensburg in einer Information vom November 2019 des www.lungenaerzte-im-netz.de.

Betroffene leiden unter starkem Husten mit schleimigem und eitrigem Auswurf, Atemnot und Müdigkeit. Wesentlich für die Behandlung sind die Methoden der Atemphysiotherapie (Bronchialtoilette) mit dem Ziel, das Lösen und Abhusten von Sekret zu erleichtern und die Reinigung der Atemwege somit zu verbessern. Dazu gehören spezielle Atemtechniken und Geräte (wie z. B. Cornet® oder Flutter®), die in den Atemwegen Schwingungen erzeugen. Unterstützt wird die Atemtherapie durch Inhalationen mit Kochsalzlösungen und bronchialerweiternden Medikamenten, die dazu beitragen, dass das Sekret besser abgehustet werden kann.

Trotzdem ist eine Therapie mit Antibiotika meist unumgänglich, wobei für Problemkeine ganz spezielle Wirkstoffe verwendet werden müssen. „Wichtig für die Antibiotikatherapie ist die richtige Auswahl, Zeitdauer und Art der Applikation (oral, als Tablette oder intravenös), weil die Gefahr von Resistenzbildungen der Bakterien sehr groß ist.“ Eine operative Entfernung von Bronchiektasen ist nur möglich, wenn sich diese auf einen begrenzten Lungenbereich beschränken.

Bronchiektasen sind nicht – wie oft angenommen – selten. Derzeit wird sogar vereinzelt gemeldet, dass die Häufigkeit angestiegen sei. „Das dürfte aber vor allem auf die verbesserte Diagnosetechnik dank hochauflösender Computertomographie (CT) zurückzuführen sein. Außerdem hat auch das deutsche Bronchiektasen-Register PROGNOSIS, das sich für eine bessere Versorgung der Patienten einsetzt, die Aufmerksamkeit für diese Erkrankung erhöht. Aber im Hinblick darauf, dass die Anzahl der diagnostizierten Bronchiektasen in anderen europäischen Ländern wie beispielsweise England um ein Vielfaches übertroffen wird, ist dennoch anzunehmen, dass Bronchiektasen hierzulande immer noch zu selten diagnostiziert werden.

Bronchiektasen sollten möglichst früh durch erfahrene Pneumologen und in pneumologischen Zentren behandelt werden“, erläutert Professor Pfeifer. Weitere Informationen siehe www.lungenaerzte-im-netz.de, www.bronchiektasen-register.de

Motivation, Disziplin, Effekte

Mehr Lungensportgruppen erforderlich

Eine ganz elementare Maßnahme innerhalb des Behandlungskonzeptes bei COPD und ebenso bei Bronchiektasen ist der Lungensport. Noch gibt es in Deutschland viel zu wenige Lungensportgruppen, um den vorhandenen Bedarf auch nur annährend zu decken. Bestehende Gruppen haben teilweise eine Wartezeit für Neumitglieder von bis zu einem Jahr.

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Fragen an Jutta Remy-Bartsch

Was hat Sie ursprünglich selbst dazu bewogen, am Lungensport teilzunehmen?

Zur Vorbereitung auf die Operation zur Entfernung meines rechten Lungenunterlappens wurden mir von einem Physiotherapeuten Atemübungen gezeigt. Dieser Physiotherapeut war selbst lungenkrank, trotzdem war er überaus beweglich und sehr aktiv. Das hat mir unheimlich imponiert und mich enorm angespornt. Schließlich wollte auch ich wieder so fit werden, wie er.  

Was raten Sie Atemwegs- und Lungenpatienten, die keine Gruppe in ihrer Nähe finden?

Niemand sollte warten, bis sich vielleicht irgendwann einmal eine Gruppe in seiner Nähe gründet, sondern selbst aktiv werden. Ein wichtiger erster Schritt ist unbedingt die Gründung einer Selbsthilfegruppe – eine Aufgabe die viel leichter realisierbar ist, als die meisten denken.

Bereits bei diesen Treffen kann vieles besprochen und manche Ängste genommen werden. Man sieht, dass man mit der Erkrankung nicht alleine ist und sich auch nicht verstecken braucht. Lungenerkrankungen sind sehr komplex, was einen hohen Erklärungsbedarf mit sich bringt. Fachärzte können diesen Erklärungsbedarf aus Zeitgründen jedoch oft nicht leisten, hier können Selbsthilfegruppen einen überaus wirkungsvollen Beitrag leisten. Zudem ist die Scheu Fragen zu stellen, in einem solchen Kreis deutlich geringer.

Als Selbsthilfegruppe ist es zudem leichter, Kontakt zu einem regionalen Sportverein aufzunehmen und diesen zu motivieren, einen Lungensporttrainer ausbilden zu lassen. 

Auch in Montabaur hatten wir zunächst keine Lungensportgruppe und keinen Übungsleiter. Wir haben diese Zeit, bis wir einen Trainer hatten, so gut es ging, ganz unkonventionell überbrückt und jedes Gruppentreffen nach dem Erfahrungsaustausch noch um eine halbe Stunde erweitert und in dieser Zeit einfache Übungen durchgeführt, die wir selber kannten. 

Welche Aktivitäten könnten helfen, die Entstehung von Lungensportgruppen zu fördern?

Sportvereine sollten grundsätzlich über Reha-Sport mehr informiert, aber ebenso auch bei der Realisierung von Reha-Sportgruppen aktiv gefördert werden.

Lungensportgruppen sind, wie auch Selbsthilfegruppen, ein Hilfsangebot auf einer Basis, die nicht kommerziell bzw. gewinnorientiert ist. Sie sind mit sozialen Einrichtungen gleichzusetzen, in denen der Patient und die Humanität an oberster Stelle stehen. Mehr Anerkennung aber auch konkrete Unterstützung von Seiten der Politik, Krankenkassen aber ebenso Ärzten und der Öffentlichkeit ist erforderlich, zumal die Effekte des Lungensports nachweislich helfen, Krankenhausaufenthalte zu verringern.

Übungsleiter/innen tragen eine große Verantwortung für die Teilnehmer, nicht nur unmittelbar bezogen auf den Rehabilitationssport, sondern auch im Hinblick auf ihre notwendige Empathie und soziale Kompetenz. Eine angemessene Vergütung und ein unkompliziertes Abrechnungswesen sollten eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein, um Anreize für die Ausbildung neuer Übungsleiter zu schaffen – das Gegenteil ist jedoch leider Realität.

Welche Effekte erfahren Sie selbst durch den Lungensport in Bezug auf Ihre Erkrankung?

Meine betreuenden Ärzte bekunden mir immer wieder, wie erstaunt sie über meinen Gesundheitszustand sind, der im Gegensatz zur tatsächlichen Schwere der Erkrankung steht. Seit etwa 10 Jahren ist das Stadium meiner Erkrankung gleichbleibend. Ich bin davon überzeugt, dass meine gesundheitliche Situation ohne den Lungensport um ein vielfaches schlechter wäre.

Was Lungensport bedeutet, muss zunächst unter Anleitung eines ausgebildeten Übungsleiters und/oder Atemphysiotherapeuten erlernt werden, insbesondere wie mit einer chronischen Lungenerkrankung unter körperlicher Aktivität richtig geatmet wird.  

Aus eigener Erfahrung kann ich formulieren, dass nur durch tägliches Training spürbare Effekte zu erzielen sind, Disziplin ist unbedingt erforderlich. Einmal in der Woche Lungensport in der Gruppe reicht keineswegs aus, auch regelmäßiges Training zu Hause muss umgesetzt werden. Für seine Erkrankung muss man sich Zeit nehmen!

Natürlich, auch bei mir gibt es Tage, an denen ich den Schweinhund auf der Couch gewinnen lassen möchte. Aber dann komme ich vom Training immer wieder mit einem Lächeln zurück und sage ihm: „Ich habe gewonnen, ich habe es geschafft!“ …und mein Körper dankt es mir.

Weiterführende Informationen zum Lungensport, ein aktuelles bundesweites Adressverzeichnis von Lungensportgruppen und Informationen zur Ausbildung eines Übungsleiters Lungensport erhalten Sie auf den Internetseiten der AG Lungensport auf www.lungensport.org.  

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Der Beitrag wurde in der Frühjahrsausgabe 2020 der Fachzeitschrift „Patienten-Bibliothek – Atemwege und Lunge“ veröffentlicht – siehe auch www.Patienten-Bibliothek.de.

Text und Interview: Sabine Habicht, Redaktionsleitung Patienten-Bibliothek

Fotos: Jutta Remy-Bartsch

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