Chronische Lungenerkrankungen und Corona

Analyse der aktuellen Situation

Beim Vorliegen wissenschaftlicher Daten zu CoVid-19 handelt es sich um einen sehr dynamischer Prozess, da kontinuierlich neue Studienergebnisse hinzukommen. Verständlicherweise kann daher immer nur über das aktuell bestehende Wissen berichtet werden!

Während normalerweise wissenschaftliche Studien von der Bevölkerung fast unbemerkt im Hintergrund ablaufen, in Fachjournalen publiziert, auf Kongressen diskutiert, hinterfragt und analysiert werden und die daraus resultierenden Ergebnisse erst dann, nach einem Konsens der jeweiligen Experten an die Öffentlichkeit gelangen, erleben wir in Zeiten von Corona all diese, für Laien oftmals verwirrenden, überfordernden, aber notwendigen Einzelschritte, täglich fast hautnah mit. Eine Orientierung bieten einmal mehr die ausgewiesenen Fachgesellschaften mit ihren Fachkompetenzen und Experten. 

Am 27. April wurde eine Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin e.V. (DGP)  mit Unterstützung der Pneumologen, Schlaf- und Beatmungsmediziner e.V. (BdP) zur Risikoabschätzung bei Patienten mit chronischen Atemwegserkrankungen veröffentlicht – siehe auch www.pneumologie.de.

„Im Rahmen der aktuellen SARS-CoV-2-Pandemie gibt es eine Verunsicherung bezüglich der Frage des individuellen Schutzes bestimmter Patientengruppen mit chronischen Atemwegs- und Lungenerkrankungen, sowohl bei den Ärzten, die in der Pflicht sind, den Patienten geeignete und sinnvolle Schutzmaßnahmen zukommen zu lassen, als auch bei den Patienten, die sich verständlicherweise optimal vor CoVid-19 schützen wollen. Daher ist die Risikoabschätzung für bestimmte Patientengruppen von besonderer Bedeutung. Das Risiko, an CoVid-19 zu erkranken, ist aktuell aufgrund der fehlenden Immunität für alle Bevölkerungsgruppen hoch: nur die Einführung eines wirksamen Impfstoffes kann dieses Risiko senken.“ Auszug aus der Einleitung der Stellungnahme

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Im Gespräch Professor Dr. Claus F. Vogelmeier, Leiter der Klinik für Innere Medizin, Schwerpunkt Pneumologie des Universitätsklinikums Marburg und Vorsitzender des Wissenschaftlichen Komittés der GOLD-Initiative erfahren wir mehr über die aktuelle Situation.

Welche Patienten sind nach aktuellem Wissensstand am stärksten gefährdet für einen schweren Verlauf bei einer CoVid-19-Infektion?

Zunächst ist es wichtig zu wissen, dass die meisten wissenschaftlichen Daten, die derzeit vorliegen, in China erhoben wurden. Aus den USA liegen momentan vergleichsweise noch wenige Daten vor. Chinesen haben jedoch nicht nur eine andere Physiognomie (charakteristisches äußeres Erscheinungsbild) als z. B.  Europäer, sondern besitzen zudem einen anderen Genpool. Auch finden sich in China beispielsweise kaum Übergewichtige, fast 50 % der Männer rauchen, um nur einige Unterschiede zu benennen. Die aktuellen Daten spiegeln also die Situation einer deutlich anderen Population wider.

Fassen wir dennoch alle bisherigen Untersuchungen zusammen, so kann aktuell formuliert werden, dass

  • ältere Menschen (über 65 Jahren)
  • Patienten mit kardiovaskulären (das Herz und die Gefäße betreffenden) Erkrankungen
  • und/oder Diabetes

das größte Risiko für einen schweren Verlauf haben.

Ein weiterer Indikator, der scheinbar eine zusätzliche wichtige Rolle einnimmt, ist Adipositas, d.h. ein deutliches Überwicht über einem BMI (Body-Mass-Index) von mindestens 30.

Wie wird das Risiko bei Patienten mit chronischen Atemwegserkrankungen eingeschätzt?

Interessanterweise werden Lungenerkrankungen bei den gerade genannten Generalrisikofaktoren nicht aufgeführt. Dennoch gibt es Hinweise darauf, dass auch das Vorliegen von chronischen Atemwegs- und Lungenerkrankungen eine relevante Rolle spielt.

Bei einem gut eingestellten Asthma, leichten bis mittleren Schweregrades, liegen aktuell weder Hinweise für ein erhöhtes Risiko für eine Infektion, noch für einen schwereren Verlauf der Erkrankung vor. Die inhalative Therapie, insbesondere auch die Therapie mit Cortison, sollte konsequent und unverändert fortgeführt werden. Auch bei Patienten mit einem schweren Asthma gilt die Empfehlung, die Therapie mit Biologika weiter fortzuführen.

Bei einer COPD (chronisch obstruktive Bronchitis und/oder Lungenemphysem) finden sich Anhaltspunkte, dass die Wahrscheinlichkeit eine Infektion zu bekommen, erhöht ist und auch die Erkrankung schwerer verlaufen kann.

In einer Studie aus dem Uniklinikum Aachen, wo insbesondere Patienten aus Heinsberg behandelt wurden, hatten 22 % der Studienteilnehmer eine vorbekannte COPD unterschiedlicher Schweregrade. Die Diagnose COPD, gleich welchen Schweregrades, scheint mit einem höheren Risiko für eine Infektion vergesellschaftet zu ist. Allerdings geht weder ein niedriger noch ein höherer Schweregrad zwangsläufig mit einem schweren Verlauf einer CoVid-19-Erkrankung einher. Viele der COPD-Patienten sind inzwischen genesen.  

Welche Rolle spielen vorliegende Begleiterkrankungen?

Im Journal JAMA, der amerikanischen Medical Association, wurden aktuell Daten über eine große Fallsammlung von 5.700 CoVid-19-Patienten aus New York veröffentlicht. Sehr auffällig ist, dass nur 6 % der Studienteilnehmer keine Begleiterkrankung (Komorbidität) aufwiesen. Bei 88 % der Patienten hingegen lagen mindestens eine oder mehrere Begleiterkrankung(en) vor.

Komorbiditäten sind bei COPD eine häufig anzutreffende Konstellation.

Liegt eine kardiovaskuläre Begleiterkrankung vor, wie z. B ein hoher Blutdruck, ist von einem deutlich erhöhten Risiko eines schweren Verlaufs einer CoVid-19-Infektion auszugehen, gleiches gilt bei einem Diabetes.

Insbesondere ein Bluthochdruck wird oftmals verharmlost bzw. als „nicht so schlimm“ angesehen. Nach unseren bisherigen Erfahrungen ist dem jedoch nicht so. Eine Bluthochdrucktherapie, inklusive der Therapie mit ACE-Hemmern (wie Ramipril) oder Sartanen, sollte daher unbedingt fortgeführt werden. Es gibt keine Hinweise darauf, dass diese Medikamente das Risiko für schwere Verläufe steigern.

Die auftretende Symptomatik einer CoVid-19-Infektion und die einer COPD können einige Parallelen aufweisen. Mit seiner „üblichen“ Symptomatik ist der Patient in der Regel vertraut. Wie sollten sich Patienten verhalten, wenn eine Veränderung ihrer Symptomatik auftritt?

Die zentrale Frage, die sich hierbei natürlich stellt, ist, wie ist eine sich anbahnende akute Verschlechterung (Exazerbation) von der einer CoVid-19-Infektion zu unterscheiden.

Wir wissen, dass die üblichen Symptome einer Exazerbation, wie vermehrter Husten, Auswurf und gesteigerte Atemnot sowie ein allgemein schlechterer Allgemeinzustand, auch bei einer COVID-19-Infektion auftreten können. Was sich jedoch unterscheidet und bei einer Exazerbation in der Regel nicht auftritt, ist hohes Fieber.

Auch der Verlust des Geruchs- und Geschmacksinnes kommt bei einem substanziellen Anteil der CoVid-19-Patienten vor.

Die Entwicklung des Krankheitsverlaufs bei CoVid-19 kann im Fall einer Lungenbeteiligung sehr rasch voranschreiben. Was sollten Patienten hierzu wissen?

Viele Patienten wollen einen Krankenhausaufenthalt unbedingt vermeiden und zögern ihre Reaktion auf eine sich verschlechternde Gesundheitssituation zu lange hinaus. Eine ungute und durchaus hochgefährliche Entwicklung, die wir in den letzten Wochen in allen Fachbereichen bundesweit und zwar unabhängig von CoVid-19-Infektionen, gehäuft beobachten.

Durch dieses Verhalten sehen wir zunehmend z. B. verschleppte Herzinfarkte und Schlaganfälle. Fachgesellschaften, wie die Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin und weitere, haben bereits Appelle an die Bevölkerung gerichtet, dass im Fall einer akuten Verschlechterung der Symptomatik bzw. des Gesundheitszustandes unbedingt der Kontakt mit dem Arzt gesucht und auch die Notaufnahme im Krankenhaus in Anspruch genommen wird.

Krankenhäuser haben sich in den vergangenen Wochen und Monaten komplett umorganisiert. Es wurden separate CoVid-19-Verdachtsbereiche und CoVid-19 freie Bereiche eingerichtet, sodass ich sogar behaupten möchte: Es gibt zurzeit kaum einen sichereren Ort, außer den eigenen vier Wänden, als das Krankenhaus.

Insbesondere zu Beginn der Pandemie wurden vor allem Patienten mit einer stabilen Erkrankungssituation gebeten, ihre Routinetermine auf einen späteren Zeitpunkt zu verlegen. Diese Maßnahme basierte jedoch auf den vorzunehmenden strukturellen Veränderungen, die zu meistern waren, um die befürchtete Überwältigungssituation, wie sie in Ländern, wie Spanien, Italien und den USA aufgetreten ist, zu vermeiden.

Bei einem sich verschlechternden Beschwerdebild sollte der Griff zum Telefon, die Kontaktaufnahme mit dem behandelnden Arzt der erste Weg sein. Gemeinsam kann dann entschieden werden, welche Vorgehensweise in der jeweiligen Situation die beste ist.   

Welche Bedeutung haben die Influenza- und die Pneumokokkenimpfungen?

Die Influenzaimpfung ist zunächst für jeden einzelnen chronischen Atemwegs- und Lungenpatienten zum Schutz vor einer weiteren Infektion und Vermeidung einer Verschlechterung seiner Erkrankungssituation wichtig.

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Gleichermaßen ist eine Influenzaimpfung aus epidemiologischer Sicht wichtig, um die Erkrankungszahlen insgesamt so gering wie möglich zu halten, damit Krankenhäuser nicht zusätzlich zu CoVid-19-Infektionen mit einer hohen Anzahl von Influenzakranken belastet werden. In der vergangenen Influenzasaison ist dies gut gelungen.

Für den kommenden Herbst gilt daher die dringende Empfehlung, die Möglichkeit der Influenzaimpfung wahrzunehmen. Ab September sind die neuen Impfstoffe vorrätig.

Der Pneumokokkenimpfung kommt in Zusammenhang mit CoVid-19 eine verschärfte Bedeutung zu. Anhand von Studiendaten aus China wurde dokumentiert, dass bei älteren Patienten mit schweren Krankheitsverläufen sehr häufig bakterielle Superinfektionen auftraten. Da Pneumokokken nun einmal der wichtigste bakterielle Auslöser für eine Lungenentzündung sind, sollte chronischen Atemwegs- und Lungenpatienten ein möglichst umfassender Schutz zugeführt werden.

Als umfassenden Pneumokokkendchutz empfehle ich die Impfung mit beiden derzeit zur Verfügung stehenden Impfstoffen und zwar in Form einer sequenziellen Impfung.Unter einer sequenziellen Impfung versteht man die Impfung mit dem 13-valenten Konjugatimpfstoff (PCV13) gefolgt von einer Impfung mit dem 23-valenten Polysaccharidimpfstoff (PPSV23) zur Erweiterung der Serotypenabdeckung.

Ist dem Patienten bekannt, dass er bisher nur einen Pneumokokkenimpfstoff erhalten hat, empfehle ich eine Kontaktaufnahme mit dem behandelnden Arzt. Impfstoff ist in ausreichender Menge wieder verfügbar.

Was sollten COPD-Patienten im Hinblick auf ihre medikamentöse Therapie beachten?

Einige Berichte, wonach Patienten mit einer Cortisontherapie eine schlechtere Prognose hätten, haben eine Zeit lang für Verunsicherung gesorgt. Nach aktuellem Kenntnisstand ist weder die Anwendung von inhalativem noch von sytemisch (über eine Tablette) verabreichtem Cortison mit nachweisbaren Risiken verbunden.

Aus diesem Grund empfehlen alle nationalen wie auch internationalen Fachgesellschaften die unveränderte Fortsetzung der Therapie mit Cortison.

Innerhalb des Behandlungskonzeptes einer COPD nehmen körperliche Aktivitäten einen sehr hohen Stellenwert ein, die jedoch derzeit in Lungensportgruppen gar nicht oder nur eingeschränkt stattfinden können. Welchen Ausblick können Sie Patienten aktuell geben?

Ich persönlich glaube, dass eine Botschaft, die wir aus der jetzigen Situation mitnehmen sollten, ein vermehrtes Einlassen auf neue Konzepte in Richtung digitale Medizin ist.

Aus der Not heraus sind bereits z. B. Angebote zur Videosprechstunde und auch zum Lungensport per Webinar entstanden. Appbasierte Problemlösungen für die körperliche Aktivierung von Patienten mit Atemwegs- und Lungenerkrankungen sind in Planung.    

Natürlich gilt es zu berücksichtigen, dass der deutlich älteren Generation auch der Zugang zu den neuen Medien ermöglicht wird. Hier müssen neue Wege erschlossen werden, wie z. B. die aktive Einbindung der technikaffinen Generation der Angehörigen.

Damit die Entwicklungen auch fundiert sind, wird dies etwas Zeit in Anspruch nehmen, doch ich sehe viele Möglichkeiten und auch eine inzwischen deutlich höhere Bereitschaft. 

Gibt es derzeit ein konkretes Zeitfenster, einen Horizont für Impfungen und Medikamente?

Aufgrund vieler weltweit durchgeführter Studien mit einer ganzen Reihe von Substanzen besteht eine substanzielle Chance, dass wir noch in diesem Jahr eine Medikation definieren können, die zumindest den Krankheitsverlauf günstig beeinflussen kann.

Zu keiner Zeit gab es in der Menschheitsgeschichte eine vergleichbare Phase, in der so schnell und so weitreichend globale Forschungsaktivitäten aufgenommen wurden.

Die Situation der Impfstoffe ist deutlich komplexer als die der Medikamente. Derzeit wird an unterschiedlichen Ansätzen geforscht, sowohl an klassischen Impfstoffen, die wir kennen, wie z. B. der Influenzaimpfung, aber auch an ganz neuen Konzepten mit sog. RNA-Impfstoffen. Auch deutsche Firmen sind hieran beteiligt. Testverfahren verlaufen beschleunigt, indem verschiedene Studienphasen, die normalerweise nacheinander umgesetzt, nun fast parallel durchgeführt werden. Etwa 20 Impfstoffkandidaten werden derzeit überprüft.

Bei optimistischster Betrachtung steht ein Impfstoff Ende des Jahres zur Verfügung, pessimistischer gesehen erst Ende 2021.


Bildnachweis:
Blue Planet Studio, sewcream – AdobeStock

Interview/Text:
Sabine Habicht, Redaktionsleitung Patienten-Bibliothek


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Der Beitrag wurde in der Sommerausgabe 2020 der Patienten-Bibliothek – Atemwege und Lunge veröffentlicht.

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