Alpha-1-Antitrypsin-Mangel

Alpha-1: Ein empfindliches Gleichgewicht

In diesem Jahr ist alles anders! Auch der jährlich stattfindende Alpha-1-Infotag in Göttingen, geplant Mitte Mai 2020, musste abgesagt werden. Um eine Alternative anzubieten, nutzt Alpha1 Deutschland e.V. die digitalen Möglichkeiten und entwickelt mit Dr. Timm Greulich als Referenten ein erstes Webinar. Dr. Greulich ist Mitglied des wissenschaftlichen Beirates von Alpha1 Deutschland, Oberarzt und Bereichsleiter des Alpha-1-Zentrums der Philipps Universitätsklinik in Marburg sowie niedergelassener Pneumologe in der PneumoPraxis Marburg.

Am 24. Mai wurde das Webinar online präsentiert. Ein gelungenes Experiment mit über 200 Teilnehmern. Übrigens, auch Sie können sich diese internetbasierte Fortbildung jederzeit anschauen. Besuchen Sie die Webseite von Alpha1 auf www.alpha1-deutschland.org und klicken Sie den YouTube-Button in der rechten Seitenleiste an.

Nachfolgend einige Auszüge des Webinars über Grundlagen und den aktuellen Stand der Wissenschaft zum Alpha-1-Antitrypsin-Mangel (AATM).

Webinar1 Alpha-1-Antitrypsin-Mangel
Dr. Timm Greulich während des Webinars

Was ist AATM?

Innerhalb des körpereigenen Stoffwechsels besteht ein empfindliches Gleichgewicht zwischen sog. Proteasen auf der einen und Antiproteasen auf der anderen Seite. Wobei Proteasen Enzyme, d.h. Eiweißstoffe, sind, die wiederum andere Eiweißstoffe „verdauen“ bzw. Proteine in einzelne Bestandteile zerlegen. Vereinfacht ausgedrückt funktionieren Proteasen wie eine Art Hilfsmittel der Müllabfuhr in den Zellen. Sie sorgen z. B. dafür, dass Schadstoffe zerstört oder „alternde“ Proteine erneuert werden. Antiproteasen hingegen – zu denen auch Alpha-1-Antitrypsin zählt – haben eine Schutzschildfunktion. Sie verhindern, dass die Proteasen nicht unverhältnismäßig viele Zellen zerstören bzw. abbauen.

Ganz unterschiedliche Ursachen können zu einem Ungleichgewicht von Proteasen und Antiproteasen führen. Infekte beispielsweise, wie eine Lungenentzündung oder eine chronische Bronchitis, tragen zur vermehrten Bildung von Proteasen bei. Ein Mangel an Antiproteasen kann sich aufgrund einer Inaktivierung durch Zigarettenrauch, aber ebenso durch genetisch bedingte, also angeborene Veränderungen entwickeln.

Webinar1 Alpha-1-Antitrypsin-Mangel

Allein in Deutschland wird von etwa 12.000-20.000 Betroffenen mit einem genetisch bedingten Alpha-1-Antitrypsin-Mangel des Genotyps ZZ ausgegangen. Bei vielen dieser Betroffenen wurde der AATM noch nicht erkannt. Ein einfach durchzuführender AlphaKit© Schnelltest wird allen Patienten mit COPD/Lungenemphysem daher unbedingt empfohlen.

Wie gefährlich ist AATM?

Bisher haben sich zwei internationale Studien mit der Frage befasst, wie hoch das Risiko von AATM-Patienten ist, in Folge des Mangels an der Lunge oder an der Leber zu erkranken.

Nach heutigem Stand der Wissenschaft hat grundsätzlich die Genotyp Z-Variante, d.h. wenn beide Gene betroffen sind (PiZZ-Genotyp), die größte Krankheitsrelevanz.

Wird bei der Betrachtung der Gesamtbevölkerung davon ausgegangen, dass 10-11 % ein Lungenemphysem entwickeln, sind es bei Rauchern bereits etwa 20 %. Bei PiZZ Nichtrauchern steigert sich das Risiko allerdings auf ungefähr 60-70 % und bei PiZZ-Rauchern sogar auf etwa 90 %. Nicht zu rauchen, senkt das Risiko für ein Lungenemphysem also dramatisch.      

Auch die Serumkonzentration von AAT im Blut kann als Risikoindikator genutzt werden. Patienten mit einem Serumspiegel von mehr als 57 mg/dl zeigen kein wesentlich erhöhtes Risiko. Liegt der Serumspiegel jedoch darunter, besteht ein erhöhtes Risiko für das Auftreten einer Lungenerkrankung. Allerdings ist der Serumspiegel immer in Abhängigkeit des jeweils vorliegenden Genotyps zu betrachten. 

Erkrankungen der Leber in Folge eines AATM treten deutlich seltener auf als eine Lungenerkrankung. Wenngleich seltener, so sollte die grundsätzliche Möglichkeit dennoch ausreichende Beachtung finden.

Wie wird AATM therapiert?

Hauptindikator für die Verabreichung einer Substitutionstherapie, d.h. einer Gabe von AAT als Ersatz für das fehlende Enzym, sind drei Kriterien: das Vorliegen eines Lungenemphysems, ein Serumspiegel unter 57 mg/dl und ein FEV1 Wert unter 65 % des Sollwertes.

Bereits 2015 konnte anhand der RAPID-Studie dokumentiert werden, dass sich der Verlauf der Erkrankung durch eine einmal wöchentliche Substitutionstherapie deutlich verlangsamt und sich der Verlust an Lungengewebe reduziert.

Was gibt es Neues?

Eine erste Studie aus dem Jahr 2019 ging der Frage nach, ob eine  höhere Dosierung der Substitutionstherapie möglicherweise noch bessere Effekte erzielen kann. Erste Hinweise deuten darauf hin, dass ein höherer Serumspiegel auch mit einem geringeren Abfall der Lungendichte einhergeht.

Große Hoffnungen wurden in die Entwicklung von Alpha-1-Antitrypsin per Inhalation gesetzt. Leider haben sich die Erwartungen an eine zusätzliche Therapieoption jedoch nicht erfüllt.

Weitere Studienprojekte werden aktuell mit ganz neuen Ansätzen durchgeführt, sei es im Bereich der Gentherapie, der Proteine oder der Einflussnahme auf Prozesse bei Lebererkrankungen, sodass in den nächsten Jahren eine Reihe von neuen Ergebnissen erwartet werden kann.  

Neben dem deutschen Alpha-1-Register befindet sich nun auch das Paneuropäische Register EARCO kurz vor seinem Start zur Realisierung, mit geplanten 3.000 Patienten innerhalb der kommenden drei Jahre. Das Register zielt vor allem auf ein besseres Verständnis für den Langzeitverlauf eines Alpha-1-Antitrypsin-Mangels ab.


Bildnachweis:
tai111 – Fotolia.com
Dr. Timm Greulich, Marburg

Text:
In Anlehnung an das Webinar – Sabine Habicht, Redaktionsleitung Patienten-Bibliothek


Webinar1 Alpha-1-Antitrypsin-Mangel

Dieser Beitrag wurde in der Sommerausgabe 2020 der Patienten-Bibliothek – Atemwege und Lunge veröffentlicht.


Webinar1 Alpha-1-Antitrypsin-Mangel

Erfahren Sie mehr über den Alpha-1-Antitrypsin-Mangel.


Schreibe einen Kommentar