Steigende Vielfalt der Optionen

Lungenkrebs benötigt genaue Diagnostik

Noch bis in die 1990er Jahre galt eine Behandlung des Lungenkarzinoms als fast aussichtslos. Seitdem hat sich hinsichtlich der therapeutischen Optionen enorm viel getan. Neue Entwicklungen bieten Chancen und Möglichkeiten gezielt etwas gegen die Erkrankung zu tun. Die früher oftmals hoffnungslose Diagnose Lungenkrebs wandelt sich inzwischen für einen Teil der Patienten zu einer chronischen Erkrankung mit deutlich längerem Überleben und deutlich besserer Lebensqualität

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Im Gespräch mit Professor Dr. Bernd Schmidt, Facharzt für Innere Medizin und Pneumologie, Chefarzt der Lungenklinik, Lungenkrebszentrum der DRK Kliniken Berlin, erfahren wir mehr über den aktuellen Status.

Warum ist zunächst eine genaue Diagnose für die Wahl der Therapie so wichtig?

Während wir in der Vergangenheit nur grobe Unterscheidungen der Lungenkarzinome brauchten (z. B. kleinzelliges Lungenkarzinom/nicht-kleinzelliges Lungenkarzinom), um Therapieentscheidungen zu treffen, wird die genauere Diagnose bei neueren Behandlungsmöglichkeiten immer bedeutsamer.

Wir benötigen heute neben der Beschreibung des Gewebetypen (z. B. Adenokarzinom = ausgehend von Drüsenzellen) genaue Differenzierungen der Oberflächenstrukturen (z. B. PD-L1-Expresion) und möglicher Besonderheiten des Erbmaterials der Krebszellen (z. B. Genmutationen). Neben der immer differenzierten Beschreibung der Krebszellen ist auch die Ausdehnung (Tumorgröße, Lymphknotenbefall und Metastasensituation) für Therapieentscheidungen extrem wichtig.

In einzelnen Fällen kann es zusätzlich bedeutsam sein, Veränderungen der großen Gefäße und der Atemwege im Rahmen der Diagnostik zu erkennen. Hier können wir sowohl auf der Seite der Blutgefäße (Angiographie) als auch in den Atemwegen (Bronchoskopie) durch lokale Therapieverfahren zur Behandlung beitragen.

Operation, Strahlentherapie, Chemotherapie sind den meisten Patienten als Standardtherapien ein Begriff. Was ist unter einer zielgerichteten Therapie zu verstehen?

Zielgerichtete Therapien (sog. „Targeted Therapies“) greifen gezielt in Mechanismen der Tumorzellen ein. Das können Antikörper gegen Oberflächenstrukturen der Tumorzellen sein oder Medikamente, die im Inneren der Tumorzelle bestimmte Informations-/Steuervorgänge beeinflussen.

Wie werden die Therapieoptionen der ungezielten und gezielten Therapie heute miteinander verbunden?

In neuen Therapiekonzepten werden klassische Chemotherapie-Medikamente mit zielgerichteten Strategien verknüpft, z. B. mit Antikörpern. Mit diesen Ansätzen wird die Wirksamkeit der Therapie unter Umständen deutlich verbessert.

Was ist unter einer Immuntherapie mit Antikörpern zu verstehen?

Immuntherapien greifen an der Kontaktstelle zwischen Krebszelle und körpereigener Abwehrzelle (=Immunsystem) an. Sie verhindern, dass Krebszellen dem Immunsystem das Signal geben, sie seien harmlos. Damit erkennt die körpereigene Abwehrzelle die Krebszelle als Feind und vernichtet sie.

Die Immuntherapie löst also gewissermaßen die Hemmung des Immunsystems und ermöglicht einen effektiven Kampf des Immunsystems gegen den bedrohlichen Krebs.

Welche Patienten können insbesondere von dieser Therapieform profitieren?

Nach heutigem Verständnis können Patienten bereits in der sog. Ersten Linie (d.h. ganz am Anfang der Behandlung) mit einer alleinigen Immuntherapie behandelt werden, wenn die Krebszellen auf ihrer Oberfläche bestimmte Strukturen in großer Menge tragen (z. B. PD-L1); deshalb ist bei Diagnosestellung die genaue Untersuchung so wichtig.

Welche therapeutischen Entwicklungen gibt es ganz aktuell, welche sind in nächster Zukunft zu erwarten?

Ganz neue wissenschaftliche Erkenntnisse zeigen, dass auch die Kombination von klassischen Chemotherapiemedikamenten mit Immunonkologischen Therapien sinnvoll sein kann. Von dieser neuen Option können sehr viele Patienten profitieren.

Zukünftig könnten auch Kombinationen verschiedener Immuntherapie-Medikamente möglich werden.

Zunehmend wird auch an Strategien geforscht, die eine medikamentöse Therapie vor einer Operation vorsehen. In bestimmten Situationen kann das Ergebnis der OP auf diese Weise verbessert werden.

Eine andere Entwicklung geht dahin, bei einzelnen Lungenkrebsmetastasen in ausgewählten Fällen (sog. „Oligometastasierte Lungenkarzinome“) sowohl den Tumor als auch die Metastase zu operieren (oder zu bestrahlen). Das heißt, dass trotz des Vorliegens einzelner Metastasen eine lokal radikale Therapie möglich wird.

Wie entwickeln sich aktuell die Möglichkeiten zur Verbesserung der Früherkennung von Lungenkrebs, um die Therapieoptionen möglicherweise noch effektiver nutzen zu können?

Die Früherkennung von Lungenkrebs ist ein komplexes Thema. In sehr großen Studien konnte gezeigt werden, dass eine CT-Untersuchung (Computertomographie) bei beschwerdefreien Rauchern dazu führt, dass Lungenkrebs früher erkannt und das Überleben der Erkrankung deutlich verbessert wird. Allerdings findet man bei den CTs auch viele harmlose Knoten in der Lunge, deren Abklärung unnötige Sorgen, Komplikationen und Kosten auslösen können.

Insgesamt spricht inzwischen sehr viel für eine Lungenkrebs-Früherkennung bei starken* Rauchern oder familiärer Belastung. Vollkommen unklar sind die Kosten eines solchen Programms und die Umsetzung. Für uns als Lungenkrebszentren wäre die Entscheidung für Früherkennung ein großer Schritt in die richtige Richtung. Wir würden sehr gerne mehr Patienten in gut behandelbarer, möglicherweise operierbarer, Situation diagnostizieren und damit die Prognose der Erkrankung insgesamt deutlich verbessern.

* Als starker Raucher wird, gemäß den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO), der tägliche Konsum von 20 oder mehr Zigaretten bezeichnet.

Lungenkrebszentren
Seit 2008 können sich Lungenkrebszentren nach den Anforderungen der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG) zertifizieren lassen. Ein zertifiziertes Zentrum ist mit einem „Versorgungsnetzwerk“ gleichzusetzen. Diese Begrifflichkeit verdeutlicht, dass die gesamte Versorgungskette der Erkrankung abgebildet sein muss – von der Diagnostik über die Therapie bis zur Nachsorge etc.

Der Vorteil von zertifizierten Zentren ist die Sicherheit, dass der Standard in allen Zentren gleich ist, deren Ärzte über ausreichend Erfahrung verfügen und eine fachübergreifende interdisziplinäre Behandlung, in Anlehnung an die aktuellen wissenschaftlichen S3-Leitlinien, stattfindet. Zudem müssen Zentren für ein Zweitmeinungsverfahren zur Verfügung stehen.

Die aktuelle Liste der zertifizierten Zentren ist z. B. über die die Internetseite der Deutschen Krebsgesellschaft einsehbar, www.krebsgesellschaft.de oder über www.oncomap.de.  Bundesweit sind derzeit 72 Lungenkrebszentren verzeichnet.


Text: Professor Dr. Bernd Schmidt, Berlin
Redaktion: Sabine Habicht, Redaktionsleitung Patienten-Bibliothek

Fotos: DRK Kliniken Berlin, Lungenkrebszentrum

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Hinweis: Zum Thema Lungenkrebs finden Sie eine 64seitige Sonderpublikation der Patienten-Bibliothek, die kostenlos online gelesen werden kann – siehe www.Patienten-Bibliothek.de.

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Der Beitrag wurde in der Winterausgabe 2019 der Fachzeitschrift „Patienten-Bibliothek – Atemwege und Lunge“ veröffentlicht.

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