…die Lunge will bewegt werden

5 Jahre nach der Lungentransplantation

Im August 2014 wurde Hans Messinger aus Windsbach im Alter von 64 Jahre transplantiert. Bereits in der Herbstausgabe 2016 haben wir darüber berichtet – online nachzulesen auf www.Patienten-Bibliothek.de.

Atemnot beim Treppensteigen war der Grund für seinen Besuch beim Arzt. Im Alter von 50 Jahren wurde die Diagnose Lungenfibrose gestellt, Belastungen im Berufsleben als Handwerksmeister im Schlosser- und Metallbauhandwerk mit Ozon, Staub und Kunststoff (Parafin) waren möglicherweise eine Ursache.

„Obwohl über den 14-jährigen Verlauf die Situation der Erkrankung kontinuierlich schlechter wurde und ich insgesamt 10 Jahre sauerstoffpflichtig war, habe ich meinen unbedingten Lebenswillen immer behalten. Ich habe erlebt, dass andere Betroffene sich der Erkrankung ergeben haben und nicht mehr aktiv waren. Das wollte ich nicht, ich wollte trotz Einschränkungen weitermachen. Dabei geholfen haben mir meine Frau und die Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe der Deutschen Sauerstoff- und BeatmungsLiga LOT, 

Im Jahr 2013 verschlechterte sich die Erkrankung allerdings so stark, dass selbst Sprechen zur Belastung wurde. Eine Transplantation war die letzte Therapieoption.“

Bevor Hans Messinger in den OP-Saal zur Transplantation geschoben wurde, visierte er ein konkretes Ziel an. „Wenn ich das hier überlebe, mache ich den Jakobsweg.“

Und er hat es geschafft! Vier Wochen war er von Ansbach, über die Schweiz und Frankreich mit dem E-Bike bis nach Santiago de Compostella unterwegs.

Auch diesen Bericht können Sie in der Herbstausgabe 2016 nachlesen.

Wie geht es Ihnen jetzt, fast fünf Jahre nach der Transplantation, gesundheitlich?

Mir geht es nicht nur gesundheitlich, sondern auch mental sehr gut. Es gibt keinerlei Einschränkungen und ich kann alles machen. Denke ich an die Zeit vor der Transplantation zurück, empfinde ich für mein heutiges Leben Dankbarkeit und ein wahnsinniges, eigentlich kaum zu beschreibendes, Glücksgefühl.

Nach meiner Transplantation, als es mir körperlich wieder besser ging, war es mir ein Bedürfnis, in meinem Waldstück bei Windsbach eigenhändig 1.200 junge Buchen zu pflanzen. Es ist so schön zu sehen, dass diese Bäume inzwischen fast so groß sind wie ich selbst.

Haben sich im Verlauf der vergangenen Jahre gesundheitliche Probleme mit der Lunge, Infektionen oder Begleiterscheinungen, wie z. B. aufgrund der vielfältig notwendigen Medikation eingestellt?

Ernsthafte Probleme haben sich nach der Transplantation nicht eingestellt und auch Infektionen sind in den letzten Jahren nicht aufgetreten. Die anfangs 54 Tabletten täglich konnten mittlerweile auf 12 Tabletten reduziert werden – doch die Medikamenteneinnahme betrachte ich als einen „Klacks“, gemessen an meiner heutigen Lebensqualität. 

Wie beeinflusst die Transplantation Ihr tägliches Leben – auf was müssen Sie z. B. achten, welche Kontrolltermine sind einzuhalten etc.?

Auch wenn gewisse Regeln zum täglichen Leben nun dazu gehören, so hat sich für mich, im Vergleich zu der Zeit vor der Transplantation, alles zum Positiven gewendet. Die Selbstmessungen wie auch alle anderen täglichen Notwendigkeiten sind im Alltag integriert und zur Routine geworden.

Die Kontrolle einiger sogenannter Vitalwerte ist von mir selbst konsequent vorzunehmen und zu dokumentieren. Auf bestimmte Grenzbereiche ist zu achten und bei deutlichen oder kontinuierlichen Abweichungen der Lungenarzt zu informieren.


Tägliche Kontrolle der Vitalwerte bei lungentransplantierten Patienten:

1. FEV1 Messung mittels PeakFlowMeter – Abweichungen nicht mehr als 10 %

2. Blutdruckmessung  – oberer Wert nicht > 150 mmHg oder unterer Wert nicht > 90 mmHg

3. Pulsmessung in Ruhe – nicht mehr als 100 Schläge pro Minute

4. Gewichtsmessung – Zunahme nicht mehr als 1 kg pro Tag

5. axilläre Körpertemperaturmessung – nicht mehr als 37,5 ˚C

6. Messung mit dem Pulsoximeter – Sauerstoffsättigung nicht < 90 %


Alle drei Wochen erfolgt eine Blutabnahme, wobei die Nieren- und Leberwerte kontrolliert und der Tacrolimus-Spiegel bestimmt wird. Anhand des Tacrolimus-Spiegels im Blut kann festgestellt werden, ob die Therapie mit den notwendigen Immunsuppressiva auch wirksam ist.

Zweimal jährlich fahre ich zu Kontrollterminen in das Pneumologische Zentrum der MHH, der Medizinischen Hochschule Hannover, in der ich transplantiert worden bin.

Achtsam zu sein, ist eine täglich Aufgabe, um jegliche Infektionsquellen zu vermeiden. Dies betrifft insbesondere auch den Bereich der Ernährung. Typische Regeln, die für Urlaubsreisende in ferne Länder gelten, wie z. B. „Koch es, schäl es oder vergiss es!“, gelten für Transplantierte beispielsweise immer.

Wie ist Ihr heutiges Lebensgefühl, wie hat Sie die Transplantation zurückblickend geprägt?

Ich bin ein sehr viel „freier“ agierender Mensch geworden und sehr viel aktiver. Mein Selbstwertgefühl, das ich vor der Transplantation aufgrund meiner Immobilität fast verloren hatte, habe ich auf dem Jakobsweg zurückgewonnen – und vielleicht ist es sogar noch etwas stärker als früher. Nach so einer körperlich und mental sehr anspruchsvollen Reise weiß man, was wirklich zählt im Leben!

Nach wie vor bin ich Gruppenleiter der LOT-Gruppe Ansbach, organisiere regelmäßig Tagesreisen und die entsprechend dafür notwendige Versorgung für die Teilnehmer mit Sauerstoff. Zuletzt waren wir beispielsweise im Schwarzwald, im Elsass und am Ammersee.

Seit 2017 engagiere ich mich zudem als Vorsitzender des VdK Ortsverbandes in Windsbach mit 450 Mitgliedern. Auch halte ich Vorträge über meine Transplantation und über meine Reisen.

Mein Leben ist also ausgefüllt mit vielen positiven Aufgaben.

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Das E-Bike wurde zur Leidenschaft

Was ist Ihnen wichtig, anderen chronischen Lungenpatienten auf Grundlage Ihrer Erfahrungen zu vermitteln?

Ich habe zunächst gelernt, dass Bewegung das A und O für die Gesundheit, insbesondere für die Lungengesundheit, bedeutet. Inzwischen formuliere ich, damit es plastischer und fassbarer wird: „Die Lunge ist im Prinzip wie ein faules Luder, sie muss bewegt werden.“

Diese Tatsache habe ich für mich verinnerlicht, Bewegung, an der frischen Luft, laufen, E-Bike-Fahren und ebenso Lungensport gehören zu meinem Leben einfach dazu.

Spazierengehen im Wald empfinde ich sogar wie eine Art zweite Apotheke.

Achtsam im Sinne der Vermeidung von Infektionen ist der zweite Punkt, der nicht nur für Lungentransplantierte von enormer Bedeutung ist, sondern gleichermaßen für alle chronisch kranken Lungenpatienten. Dazu zählen Grippeimpfungen ebenso wie Mundhygiene, regelmäßige Kontroll- wie auch Vorsorgetermine sollte jeder einhalten, sei es der Check beim Hausarzt, beim Zahnarzt bis hin zum Augenarzt.

Und auch der dritte Punkt nimmt wichtige Rolle bei chronischen Erkrankungen ein: die aktive Teilhabe am Leben und der Austausch mit anderen.  

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2017 mit dem E-Bike von Windsbach über die alte Römerstraße nach Pisa

Einige außergewöhnliche sportliche Aktivitäten von Ihnen haben wir bereits kurz skizziert. Sogar Gleitschirmfliegen waren Sie mit einer LOT. Welche Aktivitäten haben Sie nach dem Jakobsweg realisiert und welche Ziele haben Sie sich noch vorgenommen?

Meine ganze Leidenschaft liegt im Fahrradfahren mit dem E-Bike (Pedelec). Inzwischen habe ich mir ein neues, ganz auf meine Bedürfnisse zugeschnittenes, Rad zugelegt.

Im Jahr 2017 bin ich damit im Frühsommer die Alte Römerstraße gefahren. Von Windsbach über den Reschen- und Fernpass, nach Parma und Pisa und dann, aufgrund der großen Hitze etwas abgekürzt, nach Rimini, San Marino, Gardasee und wieder zurück nach Hause. Es waren vier erlebnisreiche, wunderbare Wochen, die mich wieder sehr gestärkt haben – körperlich und geistig.

Während einer Rehabilitation in der Klinik Schönau im Berchtesgadener Land habe ich im März 2018 den Grünstein im Schnee bestiegen. Eine ungeheure Anstrengung, nur mein unbedingter Wille es schaffen zu wollen, hat mich auf den letzten Metern des 1.304 Meter hohen Berges getragen. Ein weiteres Erlebnis, das hat mich mental geprägt und erneut gezeigt hat, wie entscheidend der eigene Wille ist. 

In Schönau konnte ich auch Gespräche mit Lungenpatienten, die auf der Warteliste zur Transplantation stehen, führen und meine eigenen Erfahrungen als Motivation weitergeben – ein gutes Gefühl.

PS: Während Sie diesen Beitrag lesen, befindet sich Hans Messinger auf seiner nächsten Reise. Diesmal geht es zunächst mit dem Zug nach Pisa und dann mit dem E-Bike die gesamte Küste des italienischen Stiefels entlang, ca. 3.000 km, über einen Zeitraum von acht Wochen.


Bildnachweis:
Hans Messinger

Interview/Text:
Sabine Habicht, Redaktionsleitung Patienten-Bibliothek


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Der Beitrag wurde in der Sommerausgabe 2019 der Patienten-Bibliothek – Atemwege und Lunge veröffentlicht.

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