Atemphysiotherapie

Eine der wichtigsten Maßnahmen, um Symptome zu lindern

Veränderungen an der Lunge bzw. am Lungengewebe, wie diese beispielsweise aufgrund einer chronischen Erkrankung, wie COPD, Lungenemphysem etc., auftreten, betreffen nicht nur die Lunge selbst. Allzu oft wird die bestehende Problematik an der Lunge völlig isoliert betrachtet, ohne deren Auswirkungen und Einflüsse auch auf andere Körpersysteme, wie z. B. das System der inneren Organe, das System des knöchernen Bewegungsapparates, das System der Muskulatur, der Faszien, der Durchblutung usw. zu berücksichtigen.

Die reflektorische Atemtherapie (RAT) setzt sich sowohl aus aktiven als auch aus passiven Komponenten zusammen. Passive Elemente sind die Wärmebehandlung und verschiedene manuelle, d.h. durch die Hände des Therapeuten, ausgeführte Handgriffe und Mobilisationstechniken. Aktiv hingegen, d.h. vom Patienten auszuführen, sind Atemgymnastik bzw. Yogaübungen. Die reflektorische Atemtherapie basiert auf der Stimulierung von reflektorischen Reizen, die zu einer Veränderung der Atembewegung führen. Mehr zur RAT finden Sie in der Herbstausgabe 2019 der Patienten-Bibliothek – Atemwege und Lunge www.Patienten-Bibliothek.de.

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Die Redaktion sprach mit Bettina Bickel, München, Atemphysiotherapeutin, Krankengymnastin und Lehrtherapeutin der reflektorischen Atemtherapie über die aktuellen Verunsicherungen durch Corona.

Was sollten Patienten wissen?

Natürlich werden die hygienischen Richtlinien umgesetzt. Händehygiene und Mundschutz sowohl für Therapeuten als auch Patienten sind selbstverständlich. Allerdings besteht durch die körperliche Nähe zwischen Therapeut und Patient ein Restrisiko.

Dennoch haben wir festgestellt, dass insbesondere Patienten mit einer fortgeschrittenen Erkrankungssituation in den vergangenen Monaten die Termine der RAT weiterhin wahrgenommen haben. Die Patienten kennen die Effekte der Therapie und haben die Erfahrung gemacht, dass ihr Gesundheitszustand mit der RAT stabiler verläuft. Atemphysiotherapie ist eine der wichtigsten Maßnahmen, um Symptome zu lindern. Das Lungenbronchialgewebe wird durch RAT gut durchblutet, ein besseres Abhusten des Bronchialschleims wird möglich. Keime und Erreger finden somit keinen Nährboden in der Lunge.

Dennoch, jeder Patient muss letztendlich in Abwägung von Risiko und Nutzen selbst entscheiden, ob er eine atemphysiotherapeutische Behandlung in Zeiten von Corona wahrnehmen möchte. Allerdings empfehle ich unbedingt, eine telefonische Absprache mit dem behandelnden Arzt und dem Physiotherapeuten vorzunehmen und keinesfalls, eine „einsame“ Entscheidung zu treffen. Miteinander sprechen, abwägen und dann entscheiden, ist momentan der einzig sinnvolle Weg. 

Die sog. „heiße Rolle“ ist eine vorbereitende Maßnahme für RAT-Anwendungen. Sie ist durchblutungsfördernd, lockert die Muskulatur und löst das Sekret. Von Patienten wird die heiße Rolle als überaus angenehm empfunden. Auch zu Hause kann diese Maßnahme eingesetzt werden. Was ist dabei zu beachten?

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Zu Hause ist es einfacher, anstatt einer Handtuchrolle, zwei ausgebreitete normal große Handtücher zu verwenden, so kann eine größere Körperfläche abgedeckt werden.  

Tunken Sie zunächst ein Handtuch in eine bereit gestellte Schüssel mit warmem Wasser. Achten Sie darauf, dass die Temperatur des Wassers je nach Ihrem persönlichen Empfinden tolerierbar bleibt. Dann wringen Sie das Handtuch aus und legen es auf den Brustkorb oder den Rücken. Spüren Sie, wie sich die Haut erwärmt, mehr durchblutet wird und eine leicht rosa Färbung annimmt.

Die vermehrte Durchblutung der Muskulatur und des Bindegewebes ermöglicht eine verbesserte Sekretolyse, d.h. ein besseres Lösen und Abhusten des Bronchialschleims. Der Temperaturreiz erzeugt zudem über die Nervenreizleitung eine Anregung des Zwerchfells, was vollere entspannte Atemzüge ermöglicht.  

Die heiße Rolle kann im Liegen, abwechselnd in Bauch- oder Rückenlage, und im Sitzen erfolgen. Wobei im Sitzen jeweils ein Handtuch auf die Brust und das andere gleichzeitig auf den Rücken aufgelegt werden kann.  

Je nachdem, wie ausgeprägt die Beschwerden sind, ist eine ein- zweimal tägliche Anwendung empfehlenswert. Als tägliches Ritual eignet sich die heiße Rolle vor allem vor dem Zubettgehen.

„Eine flexible, bewegliche Wirbelsäule fördert die Atembewegung“, formulierten Sie bereits in Ihrem ausführlichen Beitrag zur RAT in der Herbstausgabe 2019.

Warum ist die Mobilität der Wirbelsäule gerade bei chronischen Atemwegserkrankungen wie COPD, Lungenemphysem besonders wichtig? 

Das Zwerchfell, der wichtigste Atemmuskel, hat zwei Schenkel, die auch an der Lendenwirbelsäule angewachsen sind. Ist die Wirbelsäule nicht mehr flexibel, wirkt sich dies auch auf die Atmung aus.

Bei chronischen Atemwegserkrankungen wie COPD, Lungenemphysem wird das Zwerchfell bereits deutlich stärker beansprucht als bei Lungengesunden. Eine unflexible Wirbelsäule bedeutet somit eine zusätzliche Belastung der „Atembewegung“.

Wie können Zwerchfell und Wirbelsäule eigenständig positiv beeinflusst werden?

Das beste Mittel, um Zwerchfell und Wirbelsäule positiv zu beeinflussen, ist schlichtweg die Bewegung im Freien. Nordic Walking eignet sich beispielsweise besonders gut, denn durch den Einsatz der Stöcke kommt der gesamte Körper in Bewegung – also auch der Schultergürtel, die Oberarme und die seitliche Muskulatur des Brustkorbs.

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Grundsätzlich sollte die regelmäßige Bewegung an der frischen Luft nicht unterschätzt werden. Sie ist elementar für so vieles, wie z. B. die gesamte Atemsystematik, die Wirbelsäule, die Durchblutung des Lungenbronchialsystems. Das Zwerchfell wird durch Gehen gekräftigt und andere Muskulatur wiederum entspannt sich.

Natürlich, nicht alle chronisch erkrankten Lungenpatienten können Aktivitäten wie Nordic Walking umsetzen. Doch selbst Patienten mit einem Rollator können beim Gehen ihr Zwerchfell und die Wirbelsäule trainieren, entscheidend ist dabei der Schrittrhythmus.

Bei einem optimierten Schrittrhythmus gilt es zunächst auf die Anzahl der Ein- und Ausatemschritte zu achten. Zählen Sie die Anzahl der Schritte, die Sie für eine Einatmung benötigt. Benötigen Sie z. B. acht Schritte, um einzuatmen, sollten Sie mit der Lippenbremse die Ausatmung um zwei Schritte verlängern – also insgesamt 10 Schritte für die Ausatmung benötigen.      

Die Anzahl der benötigten Schritte für eine Einatmung ist sehr individuell. Für einen guten Schrittrhythmus ist zu beachten, dass für die langsame Ausatmung über die Lippenbremse immer zwei Schritte mehr eingesetzt werden als für die Einatmung. Kontinuierliches Üben führt langfristig zu einem Automatismus dieses Rhythmus.

Hinweis:
Für ein morgendliches Training vor dem Aufstehen im Bett eignen sich die drei Übungen sehr gut, die Bettina Bickel bereits in der Herbstausgabe 2019 der Patienten-Bibliothek – Atemwege und Lunge vorgestellt hat.

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Den zitierten Beitrag „Reflektorische Atemtherapie …bei chronischen Erkrankungen des Atmungssystems“ von Bettina Bickel finden Sie in der Herbstausgabe 2019.


Bildnachweis:
Bettina Bickel, München
Werner – Fotolia
tpzijl, stockphotograf – AdobeStock

Interview/Text:
Sabine Habicht, Redaktionsleitung Patienten-Bibliothek

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Dieser Beitrag wurde in der Sommerausgabe 2020 veröffentlicht.

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