„Wir bekommen das in den Griff“

Sarkoidose – Veränderungen annehmen und positiv gestalten

Die Erkrankung von Hildegard Stachetzki aus Bonn begann schleichend. Bereits im Alter von 24 Jahren bekam sie schlechter Luft, beim Treppen-steigen geriet sie in Atemnot – Beschwerden, die nicht mit ihrer Sportlichkeit zusammenpassten. Auch andere Symptome äußerten sich: Kopfschmerzen, häufige Erkältungen und Fieber, Ausschlag und geschwollene Beine. Unspezifische Beschwerden, die zudem oftmals als Banalitäten, nach dem Motto „das wird schon wieder“ rasch abgetan werden. Zusammengenommen übten sie jedoch einen großen Leidens-druck aus – zumal die Symptome eben nicht wieder verschwanden.

Eine Odyssee von Facharzt zu Facharzt begann. Die diagnostischen Untersuchungen anhand von Blut- und Laborwerten dokumentierten, dass ein großes Problem vorliegt. Doch dessen Ursache konnte nicht gefunden werden.

„Am schlimmsten war während dieser Zeit für mich die Ungewissheit. Hinzu kam der emotional sehr belastende Verdacht, ich sei eine Simulantin. Noch heute sehe ich die Blicke von Bekannten, Kollegen und sogar Ärzten, die mir diesen Stempel der schnellen Verurteilung aufdrückten.“

Insgesamt vier Jahre dauerte es, bis die Erkrankung Sarkoidose dann durch Zufall erkannt wurde. Bei einer routinemäßigen Röntgenuntersuchung entdeckte der Arzt Streifen auf ihrer Lunge. Dem hinzugezogenen Lungen-facharzt genügte bereits ein Blick auf die Röntgenbilder, um zu erkennen, dass es sich bei den sichtbaren Veränderungen des Lungengewebes um eine Sarkoidose handeln muss. Im Alter von 30 Jahren wurde Hildegard Stachetzki aufgrund ihrer Erkrankung berentet.

Stachetzki "Wir bekommen das in den Griff"
Hildegard und Bernd Stachetzki

Im Gespräch mit Bernd Stachetzki erfahren wir, wie er die Situation erlebt hat und wie sich das weitere gemeinsame Leben mit der Erkrankung gestaltet.

Wie haben Sie den Weg Ihrer Frau zur Diagnose erlebt?

In der Endphase vor der Diagnosestellung hat meine Frau aufgrund der gesundheitlichen Situation nur noch 38 kg gewogen. Viele Dinge konnte sie nicht mehr selbst bewältigen. Das Wissen einer endlich eindeutigen Diagnose bedeutete daher zunächst eine große Erleichterung.

Da es sich um eine seltene Erkrankung handelt, waren jedoch kaum medizinische Erkenntnisse vorhanden. Auch der behandelnde Lungenfacharzt in Düsseldorf hatte mit Sarkoidose wenig Erfahrung. Doch er war ein Mensch mit Herz und machte sich die Wissenserweiterung zum Krankheitsbild Sarkoidose fortan zur persönlichen Aufgabe.

Ein befreundeter Arzt durchforstete – zur damaligen Zeit noch ohne Internet – sogar eine Universitätsbibliothek, um die vorhandenen Publikationen zur Sarkoidose zusammenzutragen. So begann die intensive Auseinandersetzung mit der Erkrankung.

Was hat Ihnen im Umgang mit der unbekannten Erkrankung und der neuen Lebenssituation geholfen?

Die begonnene Behandlung schlug bei meiner Frau tatsächlich an, allerdings mit gravierenden Nebenwirkungen, sodass die Dosierung zunächst reduziert und später das Präparat abgesetzt wurde. Dann bei einem gravierenden Rezidiv erneut begonnen und wieder abgesetzt wurde. Ein stetiges Auf und Ab, das sehr belastete, aber eben den fehlenden Erfahrungswerten geschuldet war.

Als die Situation besonders schlimm wurde und meine Frau sogar im Krankenhaus lag, habe ich ihr – wir waren zu dem Zeitpunkt noch nicht verheiratet – einen Heiratsantrag gemacht. Wir hatten ein gemeinsames Problem und die Heirat bedeutete für mich, unsere starke Verbundenheit zum Ausdruck zu bringen.

Ungewissheit war unser ständiger Begleiter. Zwei Charaktereigenschaften haben uns im Umgang damit am meisten geholfen: bei meiner Frau die unbeirrbare Gewissheit „was kommt, das geht auch wieder“, eine Art „Stehaufmännchen-Mentalität“ und bei mir eine innere Ruhe, die es mir bei aufkommenden Problemen ermöglicht, nicht so leicht in Panik zu geraten. Eine gute Konstellation, die dafür geeignet ist, das Leben auch mit einer unbekannten, belastenden Erkrankung in den Griff zu bekommen.

„Wir kriegen das in den Griff “, wurde für uns lebensbegleitend, immer wieder haben wir uns diese selbstprophezeiende Gewissheit gegenseitig bestätigt und ließen nie einen Zweifel daran aufkommen.

Dann machten wir uns auf die Suche nach Ärzten, die sich mit dem Thema Sarkoidose auskannten. Teilweise sind wir bis nach Hamburg gefahren, um jemanden zu finden. Zudem suchten wir Kontakte zu anderen, sprachen über die Erkrankung, die wir nie verheimlicht haben, und haben dabei die wichtige Erfahrung gemacht, dass sich aus einem einfachen Austausch immer wieder neue Hilfen ergeben.

Je länger allerdings die Suche nach mehr Information und Erfahrung andauerte, umso klarer wurde, dass Sarkoidose unser Lebensthema wird. Wir bewegten uns ständig in einer Art „Niemandsland“, haben uns aber ge-traut, offensiv ranzugehen, uns permanent selbst einzu-bringen, dabei die Augen offenzuhalten und zu schauen, wo wir etwas Neues zur Sarkoidose finden können.

Als wir dann auf andere Betroffene mit der gleichen Unorientiertheit, wie bei uns selbst vor vielen Jahren, stießen, begann sich das Thema der Selbsthilfe und der Verbandsaktivitäten zu entwickeln. Inzwischen liegt das erste kleine Selbsthilfetreffen mehr als 27 Jahre zurück.

Wie hat die Erkrankung Ihre Familie und Ihren Alltag geprägt?

Mit 30 Jahren wurde meine Frau bereits berentet. Wenn es ihr phasenweise besser ging, konnte sie sich um die alltäglichen Dinge kümmern, oft von einer Freundin unterstützt. Das ermöglichte mir, mich intensiver um mei-nen Beruf zu kümmern.

Hinsichtlich des Gesundheitszustandes meiner Frau gab es ein ständiges Auf und Ab. Über viele Jahre kamen immer wieder „Überraschungen“ und auch weitere Erkrankungen hinzu. Ihre Zuversicht verlor meine Frau jedoch nie, und nach einer schlechten Zeit folgte wieder eine „normale“ Zeit.

Im Laufe der Jahre schränkte sich aufgrund der gesundheitlichen Situation unser Radius der Beweglichkeit ein, mit dem Bewusstsein, bestimmte Dinge, die wir früher fallweise unternehmen konnten, nun nicht mehr realisieren zu können. Doch es bleibt noch eine Menge Lebensqualität übrig.

Natürlich, die Erkrankungssituation nimmt Einfluss auf unser Leben. Doch für uns wurde die Situation ein normaler Bestandteil, so wie das Grauwerden der Haare im Alter oder die nichtbeeinflussbare Körpergröße, zum Leben eines jeden Einzelnen dazugehören – Äußerlichkeiten, mit denen man sich einfach abfindet.

Ich denke, bei schwierigen Situationen geht es immer darum, diese zunächst anzunehmen, dann seine Perspektive entsprechend zu verändern, um sich dann neu zu organisieren und, so normal wie es eben geht, weiter zu leben.

Was ist Ihnen besonders wichtig?

Eine enorme Triebfeder für unsere Arbeit ist die Erfahrung, Betroffenen helfen zu können und deren Dankbarkeit. Hinzu kommen die Anerkennung und Unterstützung von Ärzten, Wissenschaftlern, Krankenkassen etc., die uns vermitteln, dass wir in gewisser Weise auf das „Gesundheitssystem“ einwirken können. So formulieren Ärzte beispielsweise, dass aufgrund un-serer Selbsthilfeaktivitäten das Thema Sarkoidose in der Diagnostikvielfalt deutlich stärker präsent ist, was wiederum zu einer vermehrten Identifizierung von Betroffenen führt.

Motivation, in der Arbeit der Selbsthilfe nicht nachzulassen, ist aber vor allem, dass wir etwas bewegen und verbessern können, sowie dem einzelnen Menschen helfen und ihm vermitteln können: „Das packen wir, trotz einer Erkrankung, die das Leben verändern kann!“

Trägt man einmal selbst „den Kopf ganz unten“ und erfährt in diesem Moment, dass man einem anderen Betroffenen hat helfen können, beflügelt dies ungemein, selbst einfach weiter zu machen.


Stachetzki "Wir bekommen das in den Griff"
Sarkoidose – wandelbar wie ein Chamäleon

Chamäleon der Inneren Medizin

Sarkoidose ist im eigentlichen Sinne keine Lungenerkrankung, doch bei der Mehrzahl der Betroffenen sind das Lungengewebe und die Lymphknoten in Mitleidenschaft gezogen.

Was ist Sarkoidose?

Sarkoidose, auch Morbus Boeck genannt, ist eine entzündliche Erkrankung, die systemisch auftritt, d.h. den gesamten Körper betrifft. Dabei entwickeln sich im Bindegewebe mikroskopisch kleine Knötchen (Granulome), die die Funktion der betroffenen Organe einschränken können. Zudem können Entzündungsreaktionen bindegewebige Veränderungen (Fibrose) hervorrufen. Neben der Lunge und den Lymphknoten können Organe wie z. B. Leber, Milz, Herz, Nieren, Haut, Augen oder das Nervensystem betroffen sein.

Sarkoidose tritt oft zwischen dem 25. und 40. Lebensjahr auf, wird aber in den letzten Jahren zunehmend erst im späteren Lebensalter festgestellt. Die Ursache der Erkrankung ist bis heute unbekannt.

Wie äußert sich die Erkrankung?

Krankheitssymptome können sich sehr unterschiedlich äußern. Viele Patienten klagen jedoch über allgemeine unspezifische Symptome wie z. B. erhöhte Körpertemperatur, Gewichtsabnahme, Nachtschweiß, Müdigkeit und Abgeschlagenheit. Da fast immer die Lunge beteiligt ist, kann es zu Husten und Atem-not kommen, insbesondere unter Belastung. Es wird zwischen akuter und chronischer Verlaufsform unterschieden. Die Erkrankung wird bei Lungenbeteiligung in die Röntgentypen 0-4 eingeteilt. Die Aussichten auf Heilung sind je nach Ausprägung der Erkrankung sehr unterschiedlich.

Wie wird die Erkrankung festgestellt?

Bei einem Lungenfacharzt können durch bildgebende Verfahren Veränderungen an der Lunge und den Lymphknoten im Brustraum erkannt, die Lungenfunktion genau untersucht und endoskopische Untersuchungen wie eine Lungenspiegelung mit einer Entnahme von Lungengewebe veranlasst werden. Darüber hinaus sind fachärztliche Untersuchungen der Augen, des Herzens (z. B. EKG), der inneren Organe (Ultraschall) oder des Skeletts (z. B. Röntgen, MRT) sinnvoll. Eine Gewebeprobe sichert oftmals erst die eindeutige Diagnose.

Die Vielfalt der Erscheinungsformen einer Sarkoidose führt dazu, dass fast jeder Betroffene seine „eigene“ Sarkoidose entwickelt. Dies erschwert die Diagnosestellung erheblich. Da die Krankheit an allen Stellen im Körper auftreten kann, benötigen Betroffene meist verschiedene Fachbereiche der Medizin zu Diagnostik und Therapie. Sarkoidose wird aufgrund ihrer vielen Besonderheiten und Wandlungseigenarten auch als das Chamäleon der Inneren Medizin bezeichnet.


Sarkoidose-Netzwerk e.V.

Stachetzki "Wir bekommen das in den Griff"

Der Verein wurde im Jahr 2009 von Betroffenen gegründet und hat sich zum Ziel gesetzt, die medizinische und psychosoziale Versorgung für die betroffenen Erkrankten und ihr persönliches Umfeld vor Ort zu verbessern. Bundesweit finden sich Regionalgruppen und regionale Netzwerke.

Sarkoidose-Netzwerk e.V.

Rudolf-Hahn-Str. 148, 53227 Bonn, Telefon/Telefax 0228 – 471108

verein@sarkoidose-netzwerk.de, www.sarkoidose-netzwerk.de


Stachetzki "Wir bekommen das in den Griff"

Dieser Beitrag wurde in der Frühjahrsausgabe 2020 der Zeitschrift Atemwege und Lunge veröffentlicht

Interview: Sabine Habicht, Redaktionsleitung Patienten-Bibliothek

Fotos: AdobeStock Minerva, AdobeStock Vera Kuttelvaserova, JoHempel

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