Wir können mehr schaffen, als wir uns selbst zutrauen…
Vielleicht haben Sie bereits einen der zahlreichen Berichte über Karen Skålvoll (47) und ihre außergewöhnlichen Rekorde im Bereich des Kraftsports und im Einsatz gegen die Erkrankung Alpha-1-Antitrypsinmangel gelesen?
Beispielsweise über den Weltrekord im vergangenen Jahr als Karen Skålvoll als erste Sportlerin mit einer Sauerstofftherapie zwei Kampfjets – eine MIG-15 und einen F-104 Starfighter – nur unter Einsatz ihrer eigenen Kräfte über eine Distanz von 15 Metern über ein Rollfeld zog. Oder ein Jahr zuvor als sie beim Gewichtheben einen neuen Rekord über 125 kg aufstellte.
Der Weg zur richtigen Diagnose
In Norwegen in Sandnes bei Stavanger ist Karen Skåvoll geboren. Seit 2011 lebt sie mit ihrer Familie im Saarland in Deutschland.
Von klein auf ist Sport wichtiger Bestandteil ihres Leben, zunächst mit Sportarten wie Schwimmen, Reiten, Joggen oder Fahrradfahren. Trotz des vielen Sports stellt sich jedoch das Gefühl ein, sich im Vergleich mit Gleichaltrigen immer mehr anstrengen zu müssen. Sie äußert ihre rasche Atemlosigkeit, wird aber zunächst nicht ernst genommen. Das Gefühl sei nur „in ihrem Kopf“, so heißt es und sie solle einfach noch mehr Sport treiben. Der „Eindruck“ der Atemlosigkeit bleibt.
Eine ärztliche Untersuchung im Jahr 2006 deutet auf ein Asthma bronchiale mit einhergehender Hyperreagibilität (Überempfindlichkeit) der Bronchien.
Trotz entsprechender Medikation bleibt die Atemnot, Karen trainiert weiter.
Im Jahr 2009 wollte Karen am New York Marathon teilnehmen. Beim Training kurz davor kollabiert ihre Lunge und sie muss ins Krankenhaus eingeliefert werden. Der Anfang einer schweren Zeit mit vielen Infekten und Krankenhausaufenthalten.
Dann endlich 2011, ein Lungenfacharzt in Deutschland äußert den Verdacht, dass ein seltener Gendefekt Ursache ihrer Lungenerkrankung sein könne. Ein relativ einfaches Testverfahren (siehe auch www.alpha1-deutschland.org) bringt die Bestätigung: Alpha-1-Antitrysinmangel.
Wesentlich häufiger vorkommende Lungenerkrankungen haben die gleiche Symptomatik, was das Erkennen eines Alpha-1-Antitrypsinmangels erschwert. Ist ein Patient noch sehr jung, kommt es vor, dass Alpha1 mit Asthma bronchiale verwechselt wird, ist ein Patient älter, besteht die Gefahr der Verwechslung mit COPD/Lungenemphysem.
Nach Einstellung auf eine Alpha-1-Substitutionstherapie und eine Langzeit-Sauerstofftherapie – die aufgrund der Gasaustauschschwäche durch das Lungenemphysem notwendig ist – geht es Karen zunehmend besser, sie beginnt wieder zu trainieren.
Absolute Höchstleistungen trotz Alpha1 und trotz Sauerstofftherapie – wie ist das möglich?
Im Gespräch mit Karen Skåvoll erfahren wir mehr.
Kraftsport trotz der Notwendigkeit einer Sauerstofftherapie zu betreiben, ist für die meisten Menschen kaum vorstellbar. Wie sind Sie zu Beginn, ganz konkret an das Training herangegangen?
An das Training herangegangen bin ich schrittweise und ganz, ganz langsam. Man muss bedenken, dass es mir am Anfang der Therapiemaßnahmen noch sehr schlecht ging. Treppen zu bewältigen, war kaum möglich. Gehen grundsätzlich nur ganz langsam. Gehen und sprechen gleichzeitig undenkbar.
Nach einer Rehabilitationsmaßnahme ging es bergauf, ich konnte wieder etwas mehr. Jeden Tag habe ich einen Spaziergang unternommen, ganz konsequent und einen Schrittzähler mitgenommen. Ich hatte mir zum Ziel gesetzt, täglich fünf Schritte mehr zu schaffen.
Mit dem Kraftsport habe ich dann zunächst zu Hause begonnen. Die Übungen gestaltete ich unter Einsatz des eigenen Körpergewichtes sowie mit ganz alltäglichen Haushaltsgegenständen, beispielsweise Flaschen, oder auch mit dem Physioband. Erst nachdem ich meine Leistung weiter steigern konnte, habe ich ein Trainingsstudio aufgesucht.
Im Studio habe ich die Trainingseinheiten weiterhin sehr sehr langsam gesteigert. Sieben Monate lange habe ich zunächst mit Gewichten von 1 kg gearbeitet. Erst dann habe ich auf 2 kg und nach weiteren sieben Monaten auf 3, später auf 4 kg erhöht.
Ich denke, die wirklich tägliche, konsequente Bewegung und der ganz langsame, schrittweise Aufbau waren entscheidend. Dadurch hatte ich nie das Gefühl, ich müsse eine riesige Aufgabe bewältigen. Es waren kleine und für mich erreichbare Ziele.
Atemnot hatte ich allerdings immer und Atemnot geht auch nie ganz verloren. Hinzu kamen – zumindest gefühlt – überall Muskelschmerzen. Doch von Mal zu Mal bemerkte ich ebenso, dass ich langsam fitter wurde, mich besser fühlte und auch Treppen leichter bewältigen konnte. Diese Erfolge haben zu meiner Selbstmotivation erheblich beigetragen.
Natürlich, auch ich hatte und habe sehr schlechte Tage, an denen gar keine Bewegung möglich ist. Doch das Training insgesamt verbessert selbst diese schlechten Phasen. Die Phasen werden kürzer und ich empfinde sie nicht mehr so hart wie früher.
Auch merke ich, dass körperliche Aktivität nicht nur meinen Körper, sondern auch mein „Kopfgefühl“, meine innere Motivation stärkt. Beim Sport erlebe ich, dass Atemnot zwar äußerst „unangenehm“ ist, aber letztendlich mein Leben nicht gefährdet. Atemnot ist vor allem ein Gefühl!
Ich habe gelernt, dass sich durch große Anstrengung und Anspannung mein Gasaustausch verschlechtert, Atemübungen diese Situation jedoch wieder entspannen.
Sobald ich also den Eindruck habe: „Ich kann nicht mehr“, es kommt zur Atemnot, lege ich sofort eine Pause ein und nutze die während der Rehabilitation erlernte Lippenbremse oder andere Atemübungen – selbst in Wettkampfsituationen.
Wie gehen Sie mit der Langzeit-Sauerstofftherapie (LOT) während des Trainings um?
Nachts und in Ruhe benötige ich eine Sauerstoffflussrate von 1 Liter pro Minute. Unter Belastung sind es je nach Art der Belastung 1-3 Liter, in Wettkampfsituationen durchaus 4 oder 5 Liter.
Auf Anraten meines Arztes, messe ich meine Sauerstoffsättigung regelmäßig mit dem Pulsoximeter und justiere die Flussrate absprachegemäß, entsprechend der Notwendigkeiten nach oben oder unten. Dies steht in der Regel in Abhängigkeit zu meinen körperlichen Leistungen, aber auch in Bezug zu Stresssituationen. Inzwischen habe ich ein richtiggehendes Gespür dafür, wann ich die Flussrate anpassen muss.
Durch das hohe Maß an sportlichen Aktivitäten wird durch meinen Lungenfacharzt zudem jeden dritten Monat eine arterielle Blutgasanalyse vorgenommen.
Die Langzeit-Sauerstofftherapie ist für mich ein wunderbares Hilfsmittel, damit ich körperlich aktiv sein kann und die Versorgung der Organe, insbesondere des Herzens, sichergestellt ist.
Was verbirgt sich hinter der Kampagne „Celebrate Life“ und warum halten Sie es für wichtig, Lungenpatienten auch zu mehr sportlichen Aktivitäten in Fitnessstudios zu motivieren?
Für viele Lungenpatienten kommt die Diagnose einem Stigma gleich. Sie haben das Gefühl, das Leben sei nun zu Ende, ganz besonders wenn auch noch eine Langzeit-Sauerstofftherapie hinzukommt. Dies ist auch ein Grund, warum wir so wenig Menschen mit einer LOT in der Öffentlichkeit sehen. Mit der Kampagne möchten wir dazu beitragen, dass sich an dieser Situation etwas ändert.
Aufgrund meiner eigenen Erfahrungen möchte ich andere motivieren und Mut machen, sich mehr zu bewegen, um selbst die Erfahrung einer verbesserten Lebensqualität durch Bewegung zu erleben.
Trauen Sie sich! Ich weiß wovon ich spreche, wenn ich formuliere, dass wir immer mehr schaffen können, als wir uns selbst zunächst zutrauen.
Fitnessstudios halte ich neben dem Lungensport für besonders wichtig, da wir Lungenpatienten unsere Muskulatur stärken müssen. Wir wissen beispielsweise, dass die Beinmuskulatur bei Lungenpatienten oftmals schneller abnimmt als bei Lungengesunden.
Während der Kampagne werden wir bundesweit sowie in einigen anderen europäischen Ländern Veranstaltungen in Fitnessstudios durchführen und dabei und dabei spezielle Übungsprogramme demonstrieren. Wir möchten die Veranstaltungsbesucher motivieren, Möglichkeiten zum Austausch anbieten, kleine Wettkämpfe austragen und vor allem viel Freude und Spaß an der Bewegung vermitteln.
Weiterhin sind derzeit ein Celebrate Life Walk mit Patienten, eine Ärzteveranstaltung in Hamburg und eine Alpha1 Konferenz im April in Planung.
Mehr Informationen und die Möglichkeit, sich für eine der Veranstaltungen anzumelden, finden Sie auf www.alpha-1-athlete.com.
Bildnachweis:
Karen Skalvoll
Philips
Interview/Text:
Sabine Habicht, Redaktionsleitung Patienten-Bibliothek
Der Beitrag wurde in der Frühjahrsausgabe 2019 der Patienten-Bibliothek – Atemwege und Lunge veröffentlicht.