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…um Defizite zu vermeiden
„Durch die medizinische Forschung der letzten Jahre wurde zunehmend bestätigt, dass die COPD als keine reine Lungenerkrankung zu behandeln sei. Sie ist vielmehr eine Erkrankung mit vielfältigen und wechselhaften Veränderungen des gesamten Organismus, die sich teilweise gegenseitig beeinflussen. Der Krankheitsverlauf der COPD steht mit dem Ernährungszustand in einer engen wechselseitigen Beziehung. Mangel- und Fehlernährung sowie eine reduzierte Muskelmasse sind somit Begleiterkrankungen der COPD. Aber auch die andere Seite der Waage – nämlich ein starkes Übergewicht – hat einen direkten Einfluss auf die Komplikationsrate und den Allgemeinzustand bei COPD.“
Dieser Auszug des Ratgebers „Ernährung bei COPD“ verdeutlicht, dass dem Ernährungszustand bei jedem COPD-Patienten eine hohe Aufmerksamkeit zukommen sollte, damit möglichst frühzeitig entsprechende Interventionen erfolgen können. Über- wie auch Untergewicht gilt es unbedingt zu vermeiden. Wichtig zu wissen, dass durch einen verbesserten Ernährungszustand die Kapazität des Atemmuskels gesteigert werden kann.
Die vier Autoren des Ratgebers – Agnes Budnowski, Flora Koller, Martina Kreuter-Müller und Dr. Ralf Harun Zwick – möchten den Lesern ganz praktische, das Leben erleichternde Empfehlungen für eine tägliche Umsetzung an die Hand geben. Die im Ratgeber enthaltenen Basisinformationen, gemäß aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse, sind schwerpunktmäßig ausgerichtet auf die Themen Gewichtsproblematik, Begleiterkrankungen und Krankheitsnebenwirkungen. Die über 120 Rezepte wurden übersichtlich nach vitaminreichen, eiweißreichen und leicht verdaulichen Gerichten gegliedert.
Im Gespräch mit Agnes Budnowski, freiberufliche Diätologin, Humaenergetikerin, Schulungs- und Ernährungsberaterin in ambulanter pneumologischer Rehabilitation mit Schwerpunkt COPD in Wien erfahren wir interessante Hintergründe die Ernährung betreffend, die Sie beim Lesen des Ratgebers weiter vertiefen können.
Welcher Zusammenhang besteht zwischen der Lunge und dem Darm?
Während der Entwicklung eines Menschen im Mutterleib, bildet sich in der 4. Schwangerschaftswoche aus dem Darmrohr die Lungenknospe. Schrittweise reifen dann aus der Lungenknospe die Atemorgane: Lungenflügel, Luftröhre und Bronchien. Im Prinzip kann formuliert werden: Die Lunge entsteht aus dem Darm.
Beide Organe, Lunge und Darm, haben also denselben Ursprung. Sie entwickeln sich aus den gleichen Teilen des Embryonalgewebes, was sich sowohl bei der Struktur der Schleimhaut als auch bei den ähnlichen Grundfunktionen zeigt. Lunge und Darm sind die größten Grenzflächen des Körpers zur Außenwelt. Beide Organe, die Lunge mit etwa 100 qm2 Oberfläche und der Darm mit 300-400 qm2 Oberfläche, haben eine enorme Bedeutung für das Immunsystem. Ihre Aufgaben bestehen darin, einerseits Sauerstoff bzw. Nährstoffe aufzunehmen und andererseits für den menschlichen Organismus schädliche Stoffe abzugeben.
Über den Darm gelangen Nährstoffe aus der Nahrung und über die Lunge Sauerstoff ins Blut und so zu den einzelnen Körperzellen, wo Nährstoffe und Sauerstoff zur Energiegewinnung miteinander verbunden werden. Dieser lebenswichtige Prozess der Oxidation muss in ständiger Balance sein.
Ist die Lungenfunktion nicht gewährleistet oder vermindert, kann dies in weiterer Folge auch zu einer Dysbalance und gewissen Mangelernährung führen. Ebenso können chronische Magen-Darm-Erkrankungen zu einer Beeinträchtigung der Lungenfunktion und somit der Atmung führen. Patienten mit Morbus Crohn oder Colitus ulzerosa beispielsweise neigen häufig zu begleitenden Lungenerkrankungen.
COPD-Patienten sollten immer ganzheitlich und nicht isoliert auf ein einzelnes Organ betrachtet werden.
Was wird bei COPD-Patienten als „ausgewogene“ Ernährung bezeichnet?
Zunächst sei gesagt, dass eine „gesunde“ bzw. „ausgewogene“ Ernährung nicht unbedingt für jeden Patienten das gleiche bedeutet. Die tatsächlichen Bedürfnisse und möglicherweise auch vorliegenden Verdauungsbeschwerden gilt es ganz individuell zu berücksichtigen.
Die Feststellung des tatsächlichen Ernährungsstatus ist ein wichtiger erster Schritt. Das aktuelle Gewicht und auch der Gewichtsverlauf geben dabei erste Hinweise.
Bei COPD-Patienten wird ein BMI*-Wert im oberen Normbereich zwischen 23 und 27 kg/m2 empfohlen. Für Lungengesunde hingegen ist ein BMI zwischen 19 und 25 als Normbereich definiert.Wird bei einer vorliegenden COPD ein BMI-Wert von 21 unterschritten, gilt dies bereits als Untergewicht, ist der BMI-Wert von 29,9 überschritten, handelt es sich um ein Übergewicht. Sowohl Über- als auch Untergewicht nehmen Einfluss auf die Lungenerkrankung und wirken sich auf dessen Verlauf negativ aus.
Die Beobachtung des Gewichtsverlaufs ist wichtig, um rechtzeitig einen raschen Verlust an Körpergewicht, innerhalb von Wochen oder wenigen Monaten, zu erkennen. Ein ungewollter rascher Gewichtsverlust ist ein Alarmzeichen für eine mögliche Mangelernährung.
COPD-Patienten haben aufgrund des stärkeren Einsatzes der Atemhilfsmuskulatur und dem damit verbundenen Energieverbrauch im Vergleich zu Lungengesunden immer auch einen höheren Energiebedarf. Auf eine ausreichende Energieversorgung gilt es unbedingt zu achten!
Ein Grundsatz für eine ausgewogene Ernährung bei COPD ist eine adäquate Eiweißversorgung, denn ein Eiweißmangel führt zu schnellerem Muskelabbau.
Die Proteinzufuhr für einen Muskelerhalt beträgt 1,2 Gramm pro Körpergewicht (Hinweis: hier muss das Idealkörpergewicht zugrunde gelegt werden) pro Tag. Für einen Muskelaufbau ist sogar eine tägliche Eiweißzufuhr von 1,6 Gramm pro Körpergewicht erforderlich.
Hochwertige Proteinlieferanten können beispielsweise Fleisch, Fisch, Tofu, Eier und Milchprodukte sein.
Als weitere grundsätzliche Elemente einer ausgewogenen Ernährung ist eine gute Versorgung mit Energielieferanten wie Kohlenhydraten und Fetten zu benennen, wobei vor allem die Qualität der Nährstoffe entscheidend ist. Komplexe Kohlenhydrate, z. B. in Form von Vollkornprodukten, sollten bevorzugt werden, da diese den Insulin- und Blutzuckerspiegel nur langsam beeinflussen, im Gegensatz zu schnell verwerteten Kohlenhydraten, wie z. B. Weißmehlprodukten. Bei Fetten ist auf eine gute Zusammensetzung der Fettsäuren zu achten, damit die bei COPD gesteigerten Entzündungswerte nicht weiter ansteigen. Empfehlenswert ist beispielsweise die Verwendung von Raps-, Oliven-, Leinsamen-, Walnuss- oder Sojaöl. Auch eine ausreichende Zufuhr an Antioxidantien, Mineralstoffen und Spurenelementen ist von essentieller Bedeutung.
Welche Ernährungsproblematiken sind bei COPD von besonderer Bedeutung?
Neben einer Reihe von möglichen Problematiken wie z. B. Sodbrennen, Appetitmangel, Mundtrockenheit, Übelkeit, kann als Grundproblematik der bereits benannte erhöhte Energiebedarf gesehen werden. Aufgrund der chronischen Entzündungen und der gesteigerten Atemarbeit ist der reine Energieumsatz bei COPD um etwa 20 % erhöht.
Im Durchschnitt benötigt ein COPD-Patient ca. 400-800 Kilokalorien pro Tag mehr als ein Lungengesunder, was in etwa dem Umfang einer Hauptmahlzeit entspricht.
Liegt eine Unterversorgung vor, erleiden Patienten oftmals einen raschen Verlust der Muskelmasse – und zwar nicht nur der Skelett- sondern auch der Atem- bzw. der Atemhilfsmuskulatur. Wodurch die Atemarbeit der Lunge zusätzlich schwerer fällt.
Besonders kritisch ist das sogenannte Wasting zu sehen, der ungewollte Gewichtsverlust von mehr als 5 % des Körpergewichtes innerhalb von drei Monaten oder mehr als 10 % des Körpergewichtes innerhalb von sechs Monaten. Die Mangelernährung führt zu einer Verschlechterung des Immunsystem, mehr Infekte können auftreten, die allgemeine Belastbarkeit vermindert sich und der Verlauf der COPD insgesamt, wie auch der Verlauf möglicher vorliegender Begleiterkrankungen, kann negativ beeinflusst werden.
Besonders wichtig zu wissen, dass der BMI-Wert als alleiniger Indikator für den Ernährungszustand zu Fehleinschätzungen führen kann. Wassereinlagerungen oder eine hohe Fettmasse in Kombination mit einer reduzierten Muskelmasse können einen scheinbar „normalen“ BMI ergeben.
Die erforderlichen Aussagen über die Körperzusammensetzung (Fettmasse, Muskelmasse und Körperwasser) können nur mittels einer Bioelektrischen Impedanzanalyse (BIA) getroffen werden. Diese Messung, die beispielsweise durch eine ernährungsmedizinische Fachkraft erfolgen kann, liefert genaue Daten zum individuellen Ernährungs- und Trainingszustand und sollte idealerweise regelmäßig wiederholt werden. (Hinweis: Lesen Sie zur BIA-Messung auch den gleichnamigen Beitrag in der Herbstausgabe 2019 der Patienten-Bibliothek Atemwege und Lunge, online auf www.Patienten-Bibliothek.de.)
Aufmerksam sollten Patienten immer werden, wenn sie schnell Gewicht verlieren. Wobei der Verlust an Muskulatur vom Patienten selbst zunächst meist weniger wahrgenommen wird, insbesondere bei gleichbleibendem Körpergewicht.
Was Patienten hingegen oftmals bemerken, ist eine Muskelschwäche oder größer werdende Ringe um den Bauch, die sich bilden, da das Bauchfett immer mehr, die Kraft jedoch immer weniger wird. Auch häufige Infekte, trockene, schuppige Haut, brüchige Haare, brüchige Nägel, Muskelverspannungen und immer wiederkehrende Krämpfe können Hinweise für ein Ernährungsdefizit sein, ebenso verstärkte Atemnot, als Ausdruck einer reduzierten Muskelmasse.
Ein möglicherweise vorliegendes Ernährungsdefizit sollte bei Vorliegen dieser Symptome in Erwägung gezogen werden und diagnostische Berücksichtigung finden. Sprechen Sie mit Ihrem behandelnden Arzt darüber!
Das Interview wurde in der Frühlingausgabe 2020 der Fachzeitschrift „Patienten-Bibliothek – Atemwege und Lunge“ veröffentlicht www.Patienten-Bibliothek.de.
Interview/Redaktion: Sabine Habicht – Redaktionsleitung Patienten-Bibliothek
Fotos: AdobeStock – feshidea