Atemphysiotherapie

…für Atmung und Bewegung

Viele Patienten mit chronischen Lungenerkrankungen kennen Anwendungen der Atemphysiotherapie, die unter anderem der Atemerleichterung und der bewussten Atemwahrnehmung dienen, wie z. B. Erlernen von atemerleichternden Stellungen,  Mobilisierung des Brustkorbs, Kräftigung der Muskulatur oder auch der Sekretmobilisation (Lösung von Sekret in den Bronchien) durch spezielle Übungen sowie durch den Einsatz von Hilfsmitteln.

Ziel einer physiotherapeutischen Atemtherapie ist die bestmögliche Wiederherstellung und Erhaltung uneingeschränkter Atmung. Atemphysiotherapie ist also ein wichtiger Bestandteil des gesamten Behandlungskonzeptes.

In Zeiten von Corona herrscht allerdings Unsicherheit, Termine werden oftmals abgesagt, da die Therapiemaßnahmen eine körperliche Nähe zwischen Patient und Therapeut erfordern.

aktuelles-Foto-Sabine-Weise-2017 Atemphysiotherapie

Die Redaktion sprach mit Sabine Weise, Physiotherapeutin in München, langjährige Lehrkraft an der staatl. BFS für Physiotherapie an der LMU in München, Klinikum Großhadern, Mitinitiatorin und Dozentin der Fortbildungsreihe „Atemphysiotherapie“ der AG Atemphysiotherapie im Deutschen Verband für Physiotherapie (ZVK).

Wie haben sich Atemphysiotherapeuten auf die aktuellen Veränderungen eingestellt?

Voraussetzung für jegliche physiotherapeutische Behandlung ist die strenge Einhaltung der vorgeschriebenen Hygienemaßnahmen – zum Schutz der Patienten und zum Eigenschutz der Physiotherapeuten!

In den Akutkliniken sind die atemphysiotherapeutischen Ziele bei schwer erkrankten CoVid 19-Patienten mit interstitieller Pneumonie (das Lungengewebe betreffende Lungenentzündung) die Belüftungsverbesserung minder belüfteter Lungenareale, die Vermeidung von Atelektasen (kollabierte Lungenabschnitte oder Lungenflügel, die nicht mehr mit Luft gefüllt sind), das Öffnen von Mikroatelektasen und die Verringerung der erhöhten Atemarbeit und damit ein verbesserter Gasaustausch.

Weitere Ziele physiotherapeutischer Behandlung sind, Nebenwirkungen von Immobilität, langer Liegezeit und der künstlichen Beatmung vorzubeugen bzw. zu lindern. Hierbei ist ein wichtiger Behandlungsschwerpunkt die Thromboseprophylaxe. Alle Behandlungen müssen individuell auf Bewusstseinszustand, Belastbarkeit und vorliegende Zusatzerkrankungen der Betroffenen abgestimmt sein.

Ambulante Physiotherapiepraxen mit Behandlungsschwerpunkt Atemphysiotherapie haben wegen ihrer Spezialisierung auf Lungenerkrankungen ohnehin hohe Hygienestandards. Sie sind mit strikten Desinfektionsregeln und gut zu lüftenden Einzeltherapieräumen ausgestattet.


Handlungsschema für Hygienemanagement in physiotherapeutischen Praxen im Rahmen der Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts (Stand 27.04.2020 für CoVid-19):

  • Konsequente Umsetzung der Basishygiene (Flächendesinfektion, Handdesinfektion)
  • Nutzung eines Desinfektionsmittels mit dem Mindeststandard „begrenzt viruzid“
  • Lenkung der Patienten zur Vermeidung von Patientenkontakten
  • Versorgung von Risikopatienten mit einem Mund-Nasen-Schutz
  • Einhaltung der Abstandsregeln
  • Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes
  • Einführung von Schichtmodellen
  • Behandlung von Risikopatienten mit FFP2-Masken und Handschuhen
  • Tragen einer Atemmaske mit Schutzstandard FFP2 bei therapeutischen Maßnahmen, die die Expositionen von Sputum fördern (z. B. Atemtherapie)

 Quelle: www.rki.de


Welche „Bausteine“ der Atemphysiotherapie können problemlos zu Hause umgesetzt werden?

Die empfohlenen Kontaktbeschränkungen, die vorerkrankte gefährdete Personen weiterhin sehr ernst nehmen müssen, reduzieren die normalen Alltagsaktivitäten. Lungen- und Herzsportgruppen fallen momentan in der Regel aus und Möglichkeiten zur Bewegung im Freien sind oft nicht oder nur eingeschränkt gegeben. Unter diesen Umständen ist Eigeninitiative erforderlich!

Atemphysiotherapeutische Übungen und ein Aktivitätsprogramm für zu Hause sollten folgende Ziele verfolgen:

  • Durchlüftung der Lungen – regelmäßig und mehrfach täglich. Zur Pneumonieprophylaxe (Vorbeugung von Lungenentzündungen) ist die Durchlüftung der unteren, hinteren Lungenareale besonders wichtig!
  • Anregung des venösen Rückstroms der Beinvenen zur Thromboseprophylaxe.
  • Regelmäßige körperliche Aktivität zur Erhaltung und Verbesserung von Muskelkraft, körperlicher Beweglichkeit und Anregung des Herz-Kreislaufsystems.

Besonders zu empfehlen sind auch Ausdaueraktivitäten im Freien, wie z. B. Spazierengehen, Wandern, Nordic Walking und Fahrradfahren. Tipp: Setzen Sie dabei einen Schrittzähler ein.

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Bei den Atemübungen ist zu beachten:
Nicht schnell und tief durch den Mund einatmen! 
Sondern: bewusst und langsam die Luft durch die Nase einströmen lassen.

Die Einatmung durch die Nase ist sehr wichtig, denn die Nasenschleimhaut ist ein Hochleistungssystem zum Schutz der Bronchien. Sie klimatisiert und reinigt die einströmende Luft. Dadurch schützt die Einatmung durch die Nase das Selbstreinigungssystem (Flimmerepithel) im Rachen und in den Bronchien.

Achten Sie besonders in geschlossenen Räumen bewusst darauf, durch die Nase zu atmen! (z. B. im Supermarkt, in öffentlichen Verkehrsmitteln, aber auch bei Begegnung von Jogger-Atemwolken)

Nicht schnell in Richtung oberen Brustkorb und Schultern atmen!
Sondern: bewusst und ruhig mit dem Zwerchfell in den Bauch atmen.

(Psychische Anspannung und körperliche Belastung verleitet häufig zu schneller Mundatmung und Atmung in den oberen Brustkorb.) Durch langsame, vertiefte Zwerchfellatmung werden vor allem die unteren und hinteren Lungenabschnitte ausreichend durchlüftet. Das ist besonders wichtig, da minderbelüftete Areale einem höheren Pneumonierisiko unterliegen.

Wann können Lagerungstechniken hilfreich sein?

Bei einem überwiegend im Sessel oder im Liegen verbrachten Tagesablauf fehlen die täglichen Aktivitäten, die zwischenzeitlich zur vollen Durchlüftung der Atemwege anregen, wie z. B. Einkaufen gehen, Treppensteigen, Spazierengehen. In Ruhe reicht dem Organismus bei jedem Atemzug ein Volumen von einem halben Liter Luft. Ohne Aktivitätsreize bleibt die uns zur Verfügung stehende Atemreserve von ca. 2-3 Liter Luft pro Atemzug meist ungenutzt.

Besteht die körperliche Inaktivität über Tage oder gar Wochen, ist eine ausreichende Belüftung der unteren und hinteren Lungenareale nicht gewährleistet. Dies gilt in besonderem Maße, wenn diese Minderbelüftung mit einseitigen Körperpositionen kombiniert wird, wie z. B. angelehntes Sitzen oder Liegen in Rückenlage, auch mit angestelltem Oberkörper. Die kleinen unteren und hinteren Atemwege können zusammenfallen und die von ihnen versorgten Lungenbläschen kollabieren. 

Häufige Lagewechsel können helfen, die hinteren unteren Lungenabschnitte besser zu belüften.  

Die Schwerkraft übt einen starken Einfluss auf das lockere Lungengewebe und die Lungendurchblutung aus. Bei dauerhaft einseitig auf die Lunge einwirkende Schwerkraft können sich die der Schwerkraft zugewandten Lungenabschnitte verschließen. Wechselt man die Lage der Lunge relativ zur Schwerkraft, kann dies zum Öffnen der zuvor minderbelüfteten Lungenabschnitte beitragen. Dies gilt insbesondere in Kombination mit vertiefter Zwerchfellatmung.

Welche Rolle nimmt das Training der Beinmuskulatur ein?

In den augenblicklichen Zeiten der Kontaktbeschränkungen wählen viele Patienten den Weg der freiwilligen körperlichen Schonung. Körperliche Inaktivität hat negative Folgen. Neben der Reduktion der Muskelkraft und der allgemeinen körperlichen Leistungsfähigkeit verursacht körperliche Inaktivität eine Reihe weiterer schwerwiegender negativer Effekte, wie z. B. verminderte Lungenbelüftung, geringe Herz-Kreislauf-Anregung und verlangsamter venöse Rückstrom.

Deshalb ist ein Training alltagsrelevanter Skelettmuskulatur von besonderer Bedeutung. Je mehr diese Muskulatur an Kraft verliert, desto schneller setzt die Atemnot bei Alltagsaktivitäten ein.  Ein wichtiger Schwerpunkt sollte deshalb auf der Verbesserung des Trainingszustands der Beinmuskulatur gelegt werden. Der Krafterhalt von Gesäßmuskulatur, Oberschenkel- und Wadenmuskulatur ermöglicht ein sicheres Gehen, Hinsetzen und Aufstehen und Treppensteig. Nimmt die Leistungsfähigkeit dieser Muskulatur ab, fallen selbst einfachste Bewegungen zunehmend schwerer. Leistungserhalt bzw. eine Leistungssteigerung der Beinmuskulatur ist Voraussetzung für Aktivität im täglichen Leben und ein Fundament für weitere Leistungssteigerung. 

Muskelaktivität verbessert den Blutfluss in den Beinvenen und mindert die Gefahr einer Beinvenenthrombose oder gar Lungenembolie. Deshalb ist im täglichen Aktivitätsprogramm auch der Aspekt der Thromboseprophylaxe wichtig. Allgemeine Aktivität, insbesondere Beinaktivität und vertiefte Zwerchfellatmung regen den venösen Rückstrom zum Herzen hin an und stimulieren das gesamte Herz-Kreislauf-System in positiver Weise.

Lesen Sie weiter in der Gesamtausgabe (Seite 36 ff) oder in der downloadbaren pdf-Datei des Beitrags, wie ein sinnvoller Trainingsplan für zu Hause gestaltet werden kann und was dabei zu beachten ist.

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Informieren Sie sich auch auf folgenden Internetseiten zur Thematik:

Register von Physiotherapeuten mit Spezialisierung Atemphysiotherapie
www.atemwegsliga.de/physiotherapeuten.html

AG Atemtherapie
www.ag-atemphysiotherapie.de

AG Lungensport
www.lungensport.org


Der Beitrag wurde in der Sommerausgabe 2020 der Patienten-Bibliothek – Atemwege und Lunge veröffentlicht.

Bildnachweise:
Sabine Weise, München
detailblick-foto – Fotolia.com

Text:
Text Sabine Weise, München
Interview/Redaktion Sabine Habicht, Redaktionsleitung Patienten-Bibliothek

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