Seltene Lungenerkrankungen

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Artikel aus der Zeitschrift Patienten-Bibliothek / COPD in Deutschland – Winter 2017
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…sind eigentlich gar nicht so selten

„Lungenerkrankungen gehören zwar weltweit zu den häufigsten Erkrankungen überhaupt, doch leider ist das Bewusstsein um Schweregrad und Ausmaß der oft chronischen Krankheiten in der Bevölkerung bislang nicht ausreichend vorhanden – vor allem für die seltenen Krankheitsbilder. Eigentlich sind seltene Lungenerkrankungen gar nicht so selten, wie der Name nahelegt.

Eine Erkrankung gilt zwar als selten, wenn weniger als 5 von 10.000 Menschen an ihr leiden, allerdings gibt es ca. 100 seltene Lungenerkrankungen, so dass alleine in Deutschland mehrere hunderttausend Menschen an diesen Krankheitsbildern erkrankt sind.“

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So zu lesen auf der Internetseite www.klinikum.uni-heidelberg.de des Zentrums für seltene Lungenerkrankungen des Universitätsklinikums Heidelberg. Mehr erfahren wir im Gespräch mit Professor Dr. Michael Kreuter, Leiter des Zentrums.

Bei der Vielzahl von seltenen Lungenerkrankungen, ist es schwierig, einen wirklichen Überblick zu erhalten. Dennoch, wie kann man sich diesen Erkrankungen etwas annähern?

Grundsätzlich sei zunächst gesagt, dass sowohl häufige als auch seltene Lungenerkrankungen Bronchien, Lungenbläschen, Blutgefäße und/oder das Lungengewebe betreffen können. Zu den häufigen Erkrankungen zählen COPD/Lungenemphysem, Asthma, Lungenkrebs und Lungenentzündung, zu den seltenen Erkrankungen beispielsweise pulmonale Hypertonie, Mukoviszidose oder interstitielle Lungenerkrankungen.

Bei interstitiellen Lungenerkrankungen (oft ILD abgekürzt) handelt es sich um eine große Gruppe verschiedenster seltener Lungenerkrankungen, die das Stützgewebe der Lunge (Interstitium) und/oder die Lungenbläschen (Alveolen) betreffen.

Zwangsläufig stellt sich bei seltenen Lungenerkrankungen die Frage: Haben diese Erkrankungen denn überhaupt eine Bedeutung oder kann man seltene Erkrankungen eher vernachlässigen? Auf diese Frage hat die sogenannte Global-Burden-of-Disease-Erhebung zur Quantifizierung von Todesfällen, Krankheiten, Behinderungen und Risikofaktoren eine interessante Antwort. Dieser Bericht, der 1992 als Projekt von der Harvard School of Public Health, der Weltgesundheitsorganisation und der Weltbank ins Leben gerufen wurde und jährlich veröffentlicht wird, dokumentiert, welche Bedeutung Erkrankungen für die Menschheit haben, denn er zeigt Entwicklungen, Trends insbesondere in Bezug auf die Häufigkeit von Todesursachen, auf.

Unter den 50 häufigsten Todesursachen insgesamt, finden sich in dem Bericht bereits viele Lungenerkrankungen. Ganz weit oben steht beispielsweise die Lungenentzündung, gefolgt von der Tuberkulose – wobei diese in Deutschland eher selten auftritt, ganz im Gegensatz zu den derzeitigen weltweiten Entwicklungen. COPD und Lungenkrebs finden sich unter den 15 häufigsten Erkrankungen überhaupt. Und ganz erstaunlich, bereits auf Platz 40 der Haupttodesursachen stehen die seltenen interstitiellen Lungenerkrankungen.

Für mich, ein eindeutiger Hinweis, dass diese Gruppe der seltenen Lungenerkrankungen aufgrund ihrer Erkrankungsschwere und der damit einhergehenden Mortalität (Sterblichkeit) eine wichtige Rolle einnehmen. Diese Bedeutung wurde bisher vollkommen unterschätzt und es ist daher an der Zeit, mehr über diese Erkrankungen zu lernen und auch die Öffentlichkeit zu informieren.

Was sollte jeder über Lungenerkrankungen und somit auch seltene Lungenerkrankungen wissen?

Viele Mythen ranken sich rund um Lungenerkrankungen, die es nachhaltig zu beseitigen gilt:

1. Die meisten Menschen – und darunter sind durchaus auch viele Ärzte – denken bei Luftnot zunächst an das Herz, obwohl in mindestens 50 % aller Fälle die Lunge Ursache für eine derartige Symptomatik ist.

2. Der zweite Gedanke bei Luftnot ist: das Alter. Viel zu schnell wird Luftnot als normaler Zustand in Verbindung mit höherem Alter betrachtet. Doch meistens liegt ein krankheitsbezogener Grund vor, manchmal kann es sich
dabei auch um eine seltene Lungenerkrankung handeln, in den seltensten Fällen ist Luftnot jedoch ausschließlich dem Alter zuzuschreiben.

3. Ist die Lunge tatsächlich Ursache der Luftnot, so bedeutet dies keinesfalls zwangsläufig, dass es sich dann um eine COPD oder ein Asthma handelt. Daher sollte unbedingt vor Verordnung einer Inhalationstherapie eine
umfassende Lungenfunktionsprüfung, ggf. durch einen Lungenfacharzt, erfolgen. Nicht nur bei Nierauchern sollten seltene Lungenerkrankung in Erwägung gezogen werden.

4. Jeder sollte wissen, dass Husten keine Banalität ist. Viele verschiedene Ursachen können Husten auslösen. Dauert ein Husten länger als acht Wochen, muss durch einen Lungenfacharzt dessen Ursache abgeklärt werden.

5. Weiterhin gilt es unbedingt, zwei sich hartnäckig haltende Vorurteile auszuräumen: Bei Lungenkranken kann man therapeutisch nichts mehr machen. Lungenkranke sind selber schuld an ihrer Erkrankung, „da sie ja geraucht haben“, wie man oft hört. Beide Aussagen sind vollkommen falsch.

Selbst wenn Patienten mit einer Lungenerkrankung geraucht haben, so ist Rauchen nur eine von einer Reihe von Ursachen, warum es zum Ausbruch der Erkrankung gekommen ist.

Die wissenschaftlichen Erkenntnisse und die therapeutischen Möglichkeiten haben sich bei Lungenerkrankungen in den letzten Jahren enorm verbessert – gerade auch bei seltenen Lungenerkrankungen. Gleichzeitig ist eine Entwicklung zu immer mehr medizinischen Fachzentren zu verzeichnen, gleiches gilt für die krankheitsspezifischen inzwischen sehr starken und aktiven Selbsthilfegruppen.

Welche seltenen Lungenerkrankungen sollten COPD-Lungenemphysem-Patienten insbesondere kennen?

Jeder COPD-/Lungenemphysem-Patient sollte grundsätzlich wissen, dass es einige seltene Erkrankungen gibt, die das gleiche Erscheinungsbild und die gleiche Symptomatik wie eine COPD, ein Lungenemphysem aufweisen. Selbst für Fachärzte ist es nicht immer einfach, diese Erkrankungen zu unterscheiden.

Die Lymphangioleiomyomatose (abgekürzt LAM) ist eine Erkrankung, die fast nur Frauen betrifft. Es handelt sich hierbei um einen spontan erworbenen oder vererbten Gendefekt, in dessen Folge es zu einer überschießenden Wucherung glatter Muskelzellen in Lymphgefäßen und Bronchialwegen kommt. Durch das dadurch zerstörte gesunde Lungengewebe wird die Sauerstoffaufnahme behindert. Während man früher angenommen hat, dass vor allem junge Frauen betroffen sind, sehen wir mittlerweile Frauen im Verhältnis dazu fortgeschrittenen
Alter von 50, 60, 70 Jahren mit dieser Erkrankung – die jedoch bisher klassifiziert und behandelt wurden gemäß der Diagnose COPD.

Die Farmerlunge tritt vor allem bei Menschen auf, die in der Landwirtschaft gearbeitet haben. Während der Zeit der Heuwende werden bestimmte „Sporen“ eingeatmet, die zu einer Erkrankung führen, die über lange Zeit wie eine COPD aussieht, tatsächlich jedoch keine ist und zudem ganz anders behandelt werden muss. An die Möglichkeit eines vorliegenden Alpha-1-Antitrypsinmangels sollte jeder COPD-/Lungenemphysem-Patient denken und sich mittels Schnelltest hinsichtlich dieses Gendefekts einmal testen lassen. Durch den Schnelltest kann das Vorliegen der Erkrankung rasch ausgeschlossen werden.

An die Möglichkeit eines vorliegenden Alpha-1-Antitrypsinmangels sollte jeder COPD-/Lungenemphysem-Patient denken und sich mittels Schnelltest hinsichtlich dieses Gendefekts einmal testen lassen. Durch den Schnelltest kann das Vorliegen der Erkrankung rasch ausgeschlossen werden.

Bronchiektasen sind sackförmige Ausweitungen der mittelgroßen Bronchien. Die Ursachen von Bronchiektasen sind vielfältig, z. B. können sie als Folge einer schweren Lungenentzündung im Kindesalter auftreten oder in Verbindung mit einer Rheumaerkrankung stehen. Ebenso können Bronchiektasen als Ursache oder auch parallel mit einer COPD auftreten.
Wichtig für die Entdeckung einer seltenen Lungenerkrankung ist die Diskussion des Patienten mit dem Lungenfacharzt über sein vorliegendes Beschwerdebild. Achten Sie also auf Ihre Symptomatik. Teilen Sie Ihrem Arzt neue Beschwerden oder Veränderungen unbedingt mit. Diese Hinweise bilden die Grundlage, um Differenzierungen vornehmen zu können und möglicherweise eine weiterführende Diagnostik einzuleiten.

Ein Beispiel zum besseren Verständnis: Treten bei einem Patienten mit den Diagnosen COPD und Bronchiektasen zunehmend auch Beschwerden in den Gelenken auf und zeigt sich eine anhaltende Morgensteifigkeit der Finger, sollte diese neue Symptomatik dem behandelnden Arzt mitgeteilt werden. Vermeiden sie den fatalen Rückschluss, dass alle Beschwerden auf die vorliegende COPD zurückzuführen sind. Möglicherweise deutet das Beschwerdebild ergänzend auf eine seltene oder auf eine infektiöse Lungenerkrankung in Zusammenhang mit den Bronchiektasen hin. Eine weiterführende Abklärung sollte daher auf jeden Fall erfolgen.

Welche Anzeichen, welche Beschwerden können auf das Vorliegen einer seltenen Erkrankung hinweisen?

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Wie bereits formuliert, sollten länger anhaltende Symptome wie Husten oder Atemnot vom Lungenfacharzt immer abgeklärt werden. Grundsätzlich sollten auftretende Symptome, Veränderungen, gleich welcher Art, nicht einfach hingenommen werden – was leider viel zu häufig geschieht. Typische Veränderungen, die meist als „normal“ angesehen werden, sind beispielsweise Uhrglas- oder Trommelschlegelfinger, Patienten formulieren häufig: „Ach, das ist normal, das habe ich seit vielen Jahren, aber die Luftnot, die habe ich erst jetzt bemerkt.“
Wichtig auch, dass ausbleibende Verbesserungen bei der Durchführung einer Therapie dem Arzt mitgeteilt werden.

Um Symptomatiken, die von Patienten bereits als „normal“ betrachtet werden, besser identifizieren zu können, arbeiten Lungenfachärzte inzwischen sehr häufig mit umfangreichen Fragebögen. Seltene Lungenerkrankungen weisen jede für sich neben den bereits benannten nochmals zusätzliche spezifische Symptome auf.

Welche Vorgehensweise ist hinsichtlich der Diagnostik sinnvoll?

Eine diagnostische Abklärung sollte immer Schritt für Schritt erfolgen. Zunächst sollten dem Hausarzt die vorliegenden Beschwerden geschildert werden, so dass dieser erste diagnostische Maßnahmen wie das Abhören der Lunge vornehmen kann. Bei einer interstitiellen Lungenerkrankung ist beispielsweise ein ganz typisches Knisterrasseln, ähnlich wie beim Gehen mit Schneestiefeln durch frisch gefallenen Schnee, über das Stethoskop hörbar.

Besteht der Verdacht auf eine Lungenerkrankung, sollte der Patient zur weiteren Abklärung zum Lungenfacharzt überwiesen werden. Dort wird nach der körperlichen Untersuchung, die Lungenfunktion überprüft und ein Röntgenbild des Brustkorbs angefertigt. Ob und wenn ja, welche weiterführende Diagnostik notwendig ist, hängt von den Ergebnissen ab.

Sind weitere Untersuchungen erforderlich, werden diese ggf. in einer speziellen Lungenabteilung einer Klinik oder in einem Zentrum vorgenommen. Die Besonderheiten von Zentren liegen vor allem in deren Interdisziplinarität, d.h. der Zusammenarbeit verschiedenster Fachrichtungen, den diagnostischen Möglichkeiten, der Einbindung in wissenschaftliche Studien und somit neuen Therapien sowie den speziell ausgebildeten Mitarbeitern, wie beispielsweise der ILD-Nurse.

Was raten Sie Patienten im Umgang mit einer seltenen Erkrankung?

Informieren Sie sich nicht nur über den Weg des Internets, sondern suchen Sie spezialisierte kompetente Aufklärung bei Lungenfachärzten, in Zentren und in Zusammenarbeit mit Selbsthilfegruppen – diese unterstützen Sie und ebenso Ihre Angehörigen.

Sollten Sie die Diagnose einer seltenen Lungenerkrankung erhalten haben, so lassen Sie dennoch nicht die Erkrankung Ihr Leben bestimmen. Leben Sie weiterhin Ihr eigenes Leben – leben Sie mit der Erkrankung!

Die Voraussetzungen dafür sind heute um ein vielfaches besser als früher.


Infobox
Interstitiellen Lungenerkrankungen (ILD)

Die Ursachen für ILDs sind mannigfaltig und werden in bekannte und unbekannte Ursachen unterschieden. Durch eine zunehmende Vernarbung der Lunge entsteht in manchen Fällen eine Lungenfibrose.

Bekannte Ursachen sind zum Beispiel Auswirkungen von Medikamenten auf die Lunge (z. B. Amiodaron, das bei Herzrhythmusstörungen eingesetzt wird oder Methotrexat, ein sog. Immunmodulator) oder die Mitbeteiligung der Lunge durch eine rheumatische Erkrankung, die sogenannten Kollagenosen, wie z. B. Rheuma oder systemische Sklerodermie.

Daneben gibt es die sogenannte granulomatösen ILDs, wie z. B. die Sarkoidose oder die exogen allergische Alveolitis.
Letztere ist eine allergische Überreaktion der Lunge durch eingeatmete Stäube – eine oft bekannte Unterart ist z. B. die sog. Vogelhalter oder Taubenzüchterlunge.

Eine weitere Gruppe der ILD umfasst seltene interstitielle Lungenerkrankungen wie eine Lymphangioleiomyomatose (LAM), eine pulmonale Alveolarproteinose oder eine eosinophile Pneumonie. Von diesen Erkrankungen trennt man eine weitere Gruppe ab – die der idiopathischen interstitiellen „Pneumonien“.

Dies sind Lungenerkrankungen unklarer Ursache, bei denen es zu typischen radiologischen und histologischen Veränderungen kommt. Die häufigste ist die idiopathische Lungenfibrose (IPF), eine chronische Lungenerkrankung, bei der in der letzten Zeit viele Fortschritte zu verzeichnen waren. Gemeinsam ist allen interstitiellen Lungenerkrankungen, dass sie zumeist typische klinische, bildgebende und pathologische Veränderungen aufweisen.


Bildnachweis:
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Professor Dr. Michael Kreutzer, Heidelberg
Marianne Seiter, Heidelberg

Interview/Text:
Sabine Habicht, Redaktionsleitung Patienten-Bibliothek

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Der Beitrag wurde in der Winterausgabe 2017 der Patienten-Bibliothek – Atemwege und Lunge veröffentlicht.

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