Infektionen

Mythen und Realitäten

Sie sind winzig klein und unsichtbar, kommen in riesigen Mengen und überall vor. Mikroorganismen wie Viren oder Bakterien gehören zum biologischen System und haben in allen lebenden Organsimen nützliche Funktionen. Sie können aber auch zu Infektionserregern werden.

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Warum Patienten mit chronischen Atemwegserkrankungen dafür ein besonderes Risiko haben, wie man sich vor Ansteckung schützen kann, über einige Mythen und überraschende Befunde in der Infektiologie sprach Elke Klug mit Professor Dr. Torsten Bauer, Chefarzt Klinik für Pneumologie, Lungenklinik Heckeshorn am Helios Klinikum Emil von Behring in Berlin-Zehlendorf.

Das Risiko für Infektionskrankheiten ist bei chronischen Atemwegserkrankungen deutlich erhöht. Warum ist das so?

Die COPD und alle chronischen Atemwegserkrankungen sind ein Locus minoris resistentiae, heißt ein Ort des geringsten Widerstandes, also eine Schwachstelle des Körpers, die die Entstehung von Erkrankungen begünstigt. Die Patienten bekommen wesentlich häufiger und auch schwerere Infektionen, weil die Lunge ohnehin schon krank ist, und Einschränkungen, die eine akute Infektion wie eine Lungenentzündung mit sich bringt, schlechter kompensiert werden als in einer gesunden Lunge. Wenn die Lungenfunktion wegen einer chronischen Atemwegserkrankung nur die Hälfte des Solls bringt und dann noch ein Teil von dieser Hälfte wegfällt, dann haben die Patienten ein größeres Problem.

Bei chronischen Atemwegserkrankungen ist die Lunge die Schwachstelle des Körpers, was die Entstehung von Infektionserkrankungen begünstigt.

Welche Folgen können Infektionen haben? Was bewirken die Erreger genau?

Bei COPD beispielsweiseExazerbationen (akute Verschlechterungen). Diese sind zur Hälfte infektiös bedingt. Bei der anderen Hälfte wissen wir nicht genau, warum es zur Exazerbation kommt. Von den infektiösen ist jeweils wieder die Hälfte viral bzw. bakteriell bedingt. Man muss also unterscheiden zwischen viralen und bakteriellen Erregern. Die Bakterien siedeln sich in der Lunge an, vermehren sich dort und führen dazu, dass weiße Blutkörperchen in die Lunge gelangen, um die Bakterien abzuwehren. Die Lunge füllt sich mit körpereigenen weißen Blutkörperchen und kann ihrer Aufgabe, nämlich den Gasaustausch zu sichern, nicht mehr nachkommen. Die Patienten bekommen Luftnot. Im Grunde sind also die Bakterien nicht direkt „schuld“ an der Verschlechterung, sondern die Immunabwehr des Körpers infolge der Bakterien. Im Normalfall sind es die weißen Blutkörperchen, die dem Patienten die Atmung verwehren.

Welche Erreger sind die Hauptfeinde für diese Patienten?

Bei der Lunge sind das die Pneumokokken. Sie sind, zumindest bei uns in Deutschland, gut therapierbar. In Spanien, Griechenland oder Honkong und anderen Ländern gelingt das weniger gut. Ein weiterer bekannter Erreger von Lungeninfektionen ist z. B. *Haemophilus influenzae, der anders als sein Name suggeriert, nicht die Influenza, also die Grippe auslöst, sondern Lungenentzündungen.

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* Haemophilus influenzae ist ein Bakterium, von dem früher fälschlicherweise angenommen wurde, dass es der echten Grippe zugrunde liege – daher sein Name. Die Krankheit beginnt meist als fieberhafte Infektion des Nasenrachenraums. Üblicherweise ist die Impfung gegen Haemophilus influenzae Bestandteil einer Kombinationsimpfung, wie z. B. im Sechsfachimpfstoff zusammen mit Tetanus, Diphtherie, Kinderlähmung, Keuchhusten und Hepatitis B.

Was sollten Patienten mit einer Lungenerkrankung wie COPD über bakterielle und virale Infektionen wissen?

Sie sollten wissen, dass man die Farbe des Sputums beobachten muss. Wenn es gelb wird, geht man davon aus, dass eine infektiöse Ursache vorliegt. Dann sollten die Patienten rechtzeitig einen Arzt aufsuchen, der ggf. antibiotisch behandelt, auch wenn das nicht in jedem Fall hilft, wie bei einer viralen Ursache. Leider können wir bei der COPD nicht unterscheiden, ob die Ursache eine bakterielle oder eine virale ist. Man behandelt deshalb „breit“ antibiotisch und nimmt damit eine gewisse Übertherapie in Kauf, um die Infektion zu bekämpfen.

Auf Verfärbungen beim Abhusten achten!

Kann eine virale Infektion überhaupt therapiert werden, wenn das mit Antibiotika nicht gelingt?

Die antiviralen Medikamente, die wir haben, funktionieren nicht wirklich gut. Einige virale Infekte eliminieren wir aber durch unser Immunsystem selbst mit einer Immunantwort (die sich als Entzündung bemerkbar macht). In solchen Fällen unterdrücken wir diese Immunantwort mit Kortison, um zu verhindern, dass sich die Lunge zu sehr entzündet. Die Entzündung muss in den meisten Fällen bekämpft werden. Bei der COPD immer, weil dadurch die bereits bestehende Atemwegsobstruktion schlimmer wird.

Was können Patienten vorbeugend tun?

Es gibt zwei Impfungen, die für diese Patientengruppe empfohlen werden: die Pneumokokkenimpfung und, noch viel wichtiger, die jährliche Grippeschutzimpfung. Leider werden diese Empfehlungen zu selten umgesetzt. Die Impfmüdigkeit innerhalb der relevanten Zielgruppe ist sehr hoch. Aktuell lassen sich von den Menschen, für die diese Impfung empfohlen wird, maximal 30 bis 40 % impfen. Das sind viel zu wenig!

Unbedingt gegen Pneumokokken und jährlich gegen Influenza impfen!

Und im Alltag?

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Die normalen Hygienemaßnahmen beachten, vor allem öfter die Hände waschen. Und es gibt eine interessante Studie aus den USA, die nach Einführung eines neuen Impfstoffes gegen Pneumokokken für Kinder gezeigt hat, dass Großeltern weniger Pneumonien bekommen, wenn ihre Enkelkinder geimpft sind, insbesondere dann, wenn diese in einer Gemeinschaftseinrichtung untergebracht sind. Patientinnen und Patienten mit Atemwegserkrankungen sollten also, wenn sie Enkelkinder versorgen, deren Eltern nahelegen, dass der Nachwuchs gegen Pneumokokken geimpft wird. Die Großeltern bekommen dann nachweislich weniger häufig Lungenentzündungen.

Nachweislich weniger Lungenentzündungen bei Großeltern, wenn deren Enkel gegen Pneumokokken geimpft sind!

Was erklären Sie Patienten, die vor einem eventuell erforderlichen Klinikaufenthalt Angst vor Krankenhauskeimen haben?

Die wirksamste Prävention für solche sog. nosokomiale (= Infektion, die im Zuge eines Aufenthaltes in einem Krankenhaus auftritt) Infektionen ist, nicht ins Krankenhaus zu gehen: Das heißt zu prüfen, ob es die Möglichkeit gibt, dass das, was geplant ist, außerhalb des Krankenhauses, also ambulant, stattfinden kann. In allen Krankenhäusern auf der ganzen Welt kommen Krankenhausinfektionen vor ‒ in unterschiedlichen Ländern und in unterschiedlichen Disziplinen unterschiedlich häufig.

Krankenhausaufenthalte nur, wenn unbedingt erforderlich!

Falls ein Aufenthalt im Krankenhaus unbedingt notwendig ist gilt, je länger er dauert, umso schwerer sind die Infektionen. Der Krankenhausaufenthalt sollte möglichst kurz gehalten werden. Was die Patienten zur Infektionsvermeidung beitragen können, ist die rasche Mobilisation nach der Operation. Sie sollten nicht, wenn wir sagen, Sie können aufstehen, noch einen Tag liegen bleiben. Das machen sie aber sehr gern. Auch wenn wir Patienten einbestellen z. B. für eine geplante Untersuchung, ist das erste, was sie tun: Sie ziehen sich aus und legen sich ins Bett, ohne dazu aufgefordert worden zu sein. Diese Grundannahme, dass das so sein muss, kommt aus dem Mittelalter. Eine Liegekur war gleichzeitig die Therapie. Heute würden wir als Mediziner im Krankenhaus Bettruhe lieber als Einzelmaßnahme stundenweise je nach Notwendigkeit verschreiben. Als Infektionsmediziner sage ich, wenn wir könnten, würden wir morgens die Betten hochklappen. Das Aufstehen aus dem Bett führt zu einer besseren Durchlüftung der Lunge und ist damit die beste Prävention von Infektionen.

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Die Lunge muss bewegt werden!

Das Aufstehen aus dem Bett führt zu einer besseren Durchlüftung der Lunge und ist damit die beste Prävention von Infektionen!

Besteht nicht beim Herumlaufen auch die Gefahr der Ansteckung?

Nicht alle Patienten im Krankenhaus haben Infektionskrankheiten. Die Durchmischung mit infektiösen Patienten können wir ja steuern, denn wir wissen, wen es betrifft. Und die Infektiösen, dafür sorgen schon die Hygieneärzte im Krankenhaus, haben strenge Restriktionen.

Dass das Krankenhaus ein Hort von Infektionsquellen ist, das muss man also hinnehmen?

Das muss man akzeptieren. Nicht zu akzeptieren ist, dass die Hauptursache für die Übertragung das Krankenhauspersonal ist, Pflegepersonal und Ärzte, die mit ihrer hygienischen Vorstellung teilweise noch sehr im Mittelalter verhaftet sind.

Aber es hat in den letzten zehn Jahren auch ein großes Umdenken gegeben, besonders bei der Händedesinfektion. Das ist die wichtigste Intervention, die wir im Krankenhaus haben. Heute entscheidet der Gesamtverbrauch an Desinfektionsmitteln, ob eine Station gut oder schlecht beurteilt wird. Während man früher eher gesagt hat „Ihr habt einen zu hohen Desinfektionsmittelverbrauch“, ist es heute so, dass die Stationen angeschrieben werden, die einen geringen Desinfektionsmittelverbrauch haben. In diesem Bereich wird auch nicht gespart, das meine ich mit Umdenken. Früher war das anders. Als ich hier im Jahr 2007 angefangen habe, mussten wir noch um jeden Desinfektionsspender kämpfen. Es hieß, reicht nicht einer pro Station? Heute hängt an jedem Zimmer einer und der wird auch an jedem Zimmer benutzt. Zusätzlich gibt es die Kitteltaschendesinfektion, d. h. die Ausrede, ich habe gerade keinen gefunden, gibt es nicht mehr, das Krankenhauspersonal kann sich wirklich in jeder Situation die Hände desinfizieren.

Händedesinfektion ist die wichtigste Intervention im Krankenhaus!

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Aktion Saubere Hände** ‒ ist das nach wie vor ein Thema oder immer noch zu wenig beachtet? Halten Sie die Aktion für sinnvoll und praktikabel.

Die Propagierung der Aktion wird sicherlich noch die nächsten 50 bis 100 Jahre sinnvoll und notwendig bleiben. Man kann hoffen, dass es nicht so lange dauert, aber solange die Durchdringung des Bewusstseins für die Händedesinfektion nicht 100 % beträgt, hat die Aktion mit vielen Einzelmaßnahmen ihren Stellenwert.

Es gab dazu auch eine Änderung in der Gesetzgebung. Die sog. KRINKO*** hat durchgesetzt, dass Hygienepersonal am Krankenhaus fest angestellt sein muss und genau beobachtet, wo und wann Infektionen stattfinden. Das funktioniert hier im Haus exzellent, d.h., wir werden aktiv angesprochen, wenn auf einer Station plötzlich ein Erreger zweimal hintereinander auftaucht und können dann sofort handeln. Das war z. B. vor zwei Jahren so, als wir auf einer Station ein Problem hatten mit einem bestimmten Erreger. Wir haben dann zusammen mit der Hygiene diese Zimmer umgebaut, sodass dort, wo früher die Patienten Schränke gemeinsam genutzt haben, jetzt einzelne Schränke aufgebaut wurden und eine striktere Trennung zwischen den Betten erfolgte.

**Die „Aktion Saubere Hände“ ist eine nationale Kampagne zur Verbesserung der Compliance der Händedesinfektion in deutschen Gesundheitseinrichtungen. Sie wurde am 1. Januar 2008, mit Unterstützung des Bundesministeriums für Gesundheit, vom Nationalen Referenzzentrum für Surveillance von nosokomialen Infektionen (NRZ), dem Aktionsbündnis Patientensicherheit e.V. (APS) sowie der Gesellschaft für Qualitätsmanagement in der Gesundheitsversorgung e.V. ins Leben gerufen.
www.aktion-sauberehaende.de

***Gemäß § 23 Abs. 1 Infektionsschutzgesetz (IfSG) erstellt die Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention (KRINKO) Empfehlungen zur Prävention nosokomialer Infektionen sowie zu betrieblich-organisatorischen und baulich-funktionellen Maßnahmen der Hygiene in Krankenhäusern und anderen medizinischen Einrichtungen.

Wie ist es beim Pflegepersonal? Wie wird es geschult und werden die Schulungen immer wieder erneuert?

Traditionell ist das Hygienebewusstsein beim Pflegepersonal höher als bei den Ärzten, daran hat sich auch in den letzten Jahren nicht viel geändert, die Pflege ist sehr gut geschult.

Sind „Fremdfirmen“ (z. B. Reinigungspersonal) „Infektionsgefährder“ für Patienten?

Sie sind nicht das Problem. Die Hände müssen am Patienten gewesen sein, dann findet die Übertragung statt, da spielt Reinigungs- oder anderes Personal überhaupt keine Rolle. Die Probleme im Krankenhaus machen nicht die Erreger, die von außen kommen. In der Influenzasaison gibt es immer mal wieder einen Ausbruch, wenn jemand mit Influenza zu Besuch war, weil sie ansteckend ist, noch bevor derjenige merkt, dass er richtig krank ist. Das lässt sich nicht vermeiden. Aber alles, was von draußen hereingetragen wird, ist nicht schwer zu behandeln. Das Problem im Krankenhaus sind eher die schwer behandelbaren Infektionen. Und da ist traditionellerweise die Intensivstation ein Hotspot.

Was sollten COPD-Patienten über Pilzinfektionen wissen?

Der Klassiker bei COPD-Patienten ist der Mundsoor. Der entsteht bei sehr hohen Kortisondosen oder durch Fehler bei der Inhalation mit den inhalativen Kortisonpräparaten. Letzteres kann man ändern. Wir schulen alle unsere Patienten in der Inhalationstechnik, aber es stehen mittlerweile bei den COPD-Patienten so viele Inhalatoren zur Verfügung, dass kaum noch jemand die richtige Anwendung kennt. Ich kann nur empfehlen, mit dem behandelnden Arzt darüber zu sprechen, welches das für den Patienten geeignete Inhalationsgerät ist und danach dann auch das Medikament auszusuchen.

Inhalationsschulungen können bei inhalativem Kortison Pilzinfektionen vermeiden.

Und wenn es doch zu einer Pilzinfektion gekommen ist?

Der Mundsoor ist sehr gut mit einem lokalen Antimykotikum, was nicht in den Körper aufgenommen wird, behandelbar. Bei schwereren Pilzinfektionen kann man auch systemisch therapieren. Aber, Pilzinfektionen sind meistens Ausdruck einer antibiotischen Vorbehandlung, auch in dem Fall gilt, nicht in jedem Fall ein Antibiotikum nehmen, sondern nur, wenn das Sputum gelb ist und dann auch möglichst kurz, fünf Tage.


Bildnachweise:
Professor Dr. Torsten Bauer, Berlin
Aktion Saubere Hände
Naeblys, ylivdesign, Peter Atkins – Fotolia.com

Interview/Text:
Elke Klug, freie Medizinjournalistin, Berlin

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Der Beitrag wurde in der Herbstausgabe 2019 der Patienten-Bibliothek – Atemwege und Lunge veröffentlicht.

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