Beatmung unter Belastung …

…wie Fahrradfahren mit Rückenwind

CO2 als „Abfallprodukt“ der Atmung

Bei Patienten mit COPD bestehen chronisch einengende Veränderungen der Atemwege. Dadurch erhöht sich der Kraftaufwand der Atemmuskulatur, um das CO2 als „Abfallprodukt“ der Atmung wieder aus dem Körper „abzuatmen“.

Trotz dieser höheren Muskelbeanspruchung kann über lange Zeit die notwendige CO2-Menge abgeatmet werden. Jedoch ist unser Körper wie bei jeder körperlichen Anstrengung (z. B. Radfahren oder Gehen) gewissen Belastungsgrenzen ausgesetzt. Kommt es also zu einer akuten oder chronischen Erschöpfung der Atem- und Atemhilfsmuskulatur, steigt der CO2-Gehalt im Blut über einen Schwellenwert an (Fachbegriff: Hyperkapnie). Hyperkapnie macht müde, träge, antriebslos und charakteristisch morgendliche Kopfschmerzen, die im wachen Zustand wieder verschwinden. Patienten haben wenig Energie, den Alltag zu bestreiten. Körperliche „Zusatzbelastungen“ sind kaum möglich. Im Extremfall kommt es, bei sehr hohen Werten, zu einer CO2-Narkose.

NIV als Therapieoption gegen zu hohe CO2-Werte

Die nicht-invasive Beatmung (oder nicht-invasive Ventilation, kurz: NIV) hat sich bei der COPD im fortgeschrittenen Stadium als effektive Therapie zur Reduktion erhöhter Kohlenstoffdioxid (CO2)-Werte im Blut etabliert. Eine NIV arbeite mittels eines kleinen Gerätes, das über einen Schlauch mit einer Mund-Nasenmaske verbunden ist. Durch das Gerät gelangt mit Sauerstoff angereicherte Druckluft in die Lunge und übernimmt somit die Atemarbeit. Dadurch wird die Atem- und Atemhilfsmuskulatur (Atempumpe) entlastet. Dies führt zu einer Abnahme der Atemanstrengung und folglich zu einer Reduktion des CO2-Wertes im Blut (Normokapnie). Die Wirksamkeit der NIV-Therapie konnte in mehreren Studien bereits belegt werden. Bei individuell angepassten Beatmungsdrücken, optimal eingestellter Atemfrequenz und dauerhafter Anwendung der NIV kann diese bei COPD-Patienten die körperliche Leistungsfähigkeit und Lebensqualität verbessern sowie die Sterblichkeitsrate reduzieren.

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Abb. 1: Für den besten Tragekomfort muss unter enger Zusammenarbeit mit dem Patienten die Maske individuell ausgesucht und angepasst werden.

Die NIV-Therapie wird üblicherweise nachts angewandt. Anfängliche, nachvollziehbare Ängste und Vorbehalte vor dem Tragen einer Maske in der Nacht bleiben in der Regel nicht bestehen, wenn die NIV von erfahrenem Fachpersonal im Dialog mit dem Patienten eingestellt und engmaschig kontrolliert wird (siehe Abb. 1). Zudem kann die NIV zu einer Verbesserung der Schlafqualität beitragen. In der Folge haben Patienten vor allem morgens mehr Energie, um ihren Alltag zu bewältigen.

NIV während Training – geht das?

Ein weiterer, noch neuer Therapieansatz ist, die NIV direkt während einer Belastung einzusetzen. Patienten, die unter einer chronisch erschöpften Atem- und Atemhilfsmuskulatur leiden und aufgrund dessen bereits bei geringen Herausforderungen des täglichen Lebens stark eingeschränkt sind (z. B. sehr starke Atemnot beim Gehen von kurzen Strecken auf der Ebene etc.) neigen dazu, körperliche Belastungen zu vermeiden. Dies wirkt sich in einer weiteren Abnahme der körperlichen Leistungsfähigkeit aus und es kommt zu einer verminderten Lebensqualität sowie einer Verschlechterung der Prognose. Ein möglicher Ausweg aus dieser „Inaktivitätsspirale“ kann unter bestimmten Voraussetzungen ein Training unter NIV sein. Der Einsatz einer NIV während des Trainings ist für Patienten geeignet, die aufgrund ihrer stark erschöpften Atempumpe und reduzierten Muskelkraft nicht mehr in der Lage sind, ein effektives Training durchzuführen. Bei ausreichend hohen Drücken und angepasster Atemfrequenz entlastet die NIV die Atem- und Atemhilfsmuskulatur bei körperlicher Belastung. Sauerstoff, der sonst zur Energiebereitstellung in der Atemmuskulatur für die Ein- und Ausatmung benötigt wurde, steht dann – so unsere aktuelle Theorie – der trainierenden Muskelgruppe wie z. B. der Beinmuskulatur beim Fahrradfahren zur Verfügung. Folglich können Symptome wie Beinermüdung, die neben der starken Atemnot oftmals als limitierender Faktor für Ausdauerbelastungen angegeben wird, vermindert bzw. hinausgezögert werden. Die NIV ist somit für einige Patienten erst die Voraussetzung, um ein effektives Training mit ausreichender Intensität und Dauer durchführen zu können. Da beim Ausdauertraining eine hohe Atemanstrengung erforderlich ist und mehr Sauerstoff benötigt wird als z. B. beim Krafttraining, eignet sich diese Trainingsmethode besonders für eine Unterstützung durch die NIV. Das Training kann sowohl auf einem Farradergometer (siehe Abb. 2), als auch auf dem Laufband durchgeführt werden.

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Abb 2: Patient trainiert auf dem Fahrrad unter nicht-invasiver Beatmung (NIV). Durch Entlastung der Atem-und Atemhilfsmuskulatur kann der Patient mehr
„Beinarbeit“ leisten und somit überhaupt erst ein effektives Training absolvieren.

In einer eigenen, in der Schön Klinik Berchtesgadener Land durchgeführten, Studie wurden die Effekte einer NIV während Training untersucht. Dabei konnten die Patienten mit NIV die Trainingsbelastung erheblich länger durchhalten und verspürten dabei auch deutlich geringere Atemnot. Zudem lagen die CO2-Werte deutlich unterhalb der Werte, welche die Patienten beim Training ohne NIV erreichten (siehe Abb. 3).

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Abb. 3 Fahrradfahren mit NIV führt bei COPD-Patienten mit erschöpfter Atemmuskulatur zu einem günstigeren Verlauf der CO2-Werte im Vergleich zu Fahrradfahren ohne NIV.

Bislang wurde dieser Therapieansatz fast ausschließlich bei Patienten mit chronisch obstruktiver Lungenerkrankung eingesetzt. Aktuell gibt es Hinweise darauf, dass auch eine kleine, selektive Gruppe von Patienten mit interstitiellen Lungenerkrankungen (Lungenfibrosen) unter bestimmten Voraussetzungen von dieser Art des Trainings profitieren kann.

Der Einsatz einer Beatmung während des Trainings setzt eine optimale Basiseinstellung mit einem perfekten Maskensitz und einer der erhöhten ventilatorischen Anforderungen gerecht werdende Anpassung der NIV-Einstellungen unter Belastung voraus. Nicht zu vergessen ist der erhebliche apparative und personelle Aufwand für ein NIV-gestütztes Training. Auch der Patient muss eine enorme Kooperationsbereitschaft und Motivation mitbringen, um dieses aufwändige Training erfolgreich und längerfristig durchführen zu können.

Als essenzieller Therapiebaustein bei Patienten mit chronischerLungenerkrankung bietet eine pneumologische Rehabilitation, die diesen Anforderungen gerecht werden kann, optimale Voraussetzungen, um bei gegebener Indikation eine NIV-Therapie zu initialisieren. Zwingende Voraussetzung dafür ist, dass die Rehabilitationsklinik über eine entsprechende Expertise in diesem speziellen Bereich verfügt.

In Kombination mit einer engmaschigen und längerfristigen Betreuung können bestehende Ängste vor der Beatmung abgebaut und eine wirksame NIV-Therapie eingeleitet werden.

Darüber hinaus kann, falls notwendig, ein Training unter NIV durchgeführt werden, um Patienten mit erschöpfter Atempumpe die Chance zu geben, sich körperlich wieder zu belasten und ein effektives Training durchzuführen.

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Autor: Dr. Rainer Glöckl

Dipl. Sportwissenschaftler und wissenschaftlicher Mitarbeiter Schön Klinik Berchtesgadener Land, Schönau

Dozent am Zentrum für Prävention und Sportmedizin der Technischen Universität München


Fotonachweis:
Schön Klinik Berchtesgadener Land, Schönau
https://www.schoen-klinik.de/berchtesgadener-land

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Der Beitrag wurde in der Winterausgabe 2017 der Patienten-Bibliothek – Atemwege und Lunge veröffentlicht.

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